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Wie jeder weiss, ist "Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" die zwischen 1808 und 1831 entstandene Autobiografie von Goethe. Zumindest könnte es jeder dank Wikipedia: Dichtung und Wahrheit  wissen. Der sog. Volksmund aber, wenn er das geflügelte Wort hört, trifft eine andere Unterscheidung, die zwischen Lüge und Wahrheit. Und er hat recht, denn das  Denken überhaupt ist auf diese Unterscheidung angewiesen und in ganz besonderem Mass das politische Denken. Davon bin ich überzeugt und zwar nicht nur, weil es zu den peinlichsten Momenten des Politikers gehört, beim Lügen erwischt zu werden, sondern weil die Macht der Wahrheit gross ist - wie die Tibeter und die anderen alten Weisen sagen.

Von John Langshaw "J. L." Austin's Vorlesungen über How To Do Things With Words habe ich schon früh eine wichtige Schulung meines politischen Denkens erhalten, weil er das Konzept der Perfomative Utterrance in die Linguistik einführte. Das wurde mit persuasiver Rede übersetzt, - seinerzeit in den deutschen philosophischen Seminaren, die sich mit Kommunikationswissenschaft und Kybernetik beschäftigten, als es den Begriff Informatik noch nicht gab.

Wenn jemand z.B. sagt, er werde dies oder jenes tun, dann führt er eine Handlung aus, nämlich die Handlung der Zusicherung. Wenn er das Zugesicherte einwandfrei erfüllt, dann erreicht seine "performative utterance" den Zustand "happy" oder "felicitous". Im anderen Fall, wenn er das Zugesicherte nicht einwandfrei erfüllt, erreicht seine "performative utterance" den Zustand "unhappy" bzw.  "infelicitous".  Austin war der Meinung, eine persuasive Rede sei nicht auswertbar hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts - not truth-evaluable -, d.h. dass nichts von dem Gesagten auf der Grundlage von Wahrheit oder Falschheit beurteilt werden könne. Er führte 4 Typen von persuasiver Rede ein: explizit, implizit, primitiv und nicht-explizit und gab eine Reihe von Beispielen für jeden Typ. Einige werden in dem o.a. Artikel erwähnt, man sollte ihn jedenfalls lesen, wenn man sich nicht das ganze Buch beschaffen will.

Als junge Burschen hielten wir das für den Spleen eines britischen Lords, weil wir weder Lords kannten, noch eine Ahnung von der Macht des Denkens und der Rede hatten. Kurze Zeit später, in den heftigen ideologischen Auseinandersetzungen, bekam ich ein Gefühl für den Wert dieser scheinbar pedantischen Art zu denken. Sie hat mir beim Hören der vielen widersprechenden politischen Reden und beim Beobachten der Redner und des Publikums geholfen, einen klareren Kopf zu behalten als viele Freunde. Ich bemerkte, dass  die meisten Redner das Publikum nicht überzeugen wollten, sie wollten es vielmehr überreden oder sogar überwältigen. Bald darauf bemerkte ich das auch bei Schriftstellern, Schauspielern und Tänzern - ich denke da an gewisse chinesische revolutionäre Filme und Tanzdarbietungen, welche die europäische "Intelligenz"  ins Delirium verfallen lassen konnten.

Austin's Begriff "perfomative utterance" war gut gewählt, aber leider umständlich auf Deutsch zu übersetzen, etwa: "sprachliche Äusserung während oder zum Zweck einer Aufführung oder eines Schauspiels". Auch heute noch halte ich die primitiven und die nicht-expliziten "performative utterances"  für die gemeinsten Techniken der Überredung, weil sie sich an primitive Instinkte wenden und vom ungeschulten Bewusstsein nicht bemerkt werden können und darum je nach dem Schweregrad eine Manipulation, eine Verführung, eine Verhetzung darstellen.

Sprachliche Äußerungen sind akustische Phänomene, sie wenden sich an das menschliche Ohr und seine Gewohnheiten. Hätten wir keine Hörgewohnheiten, würden wir Geräusche wahrnehmen, aber nicht verstehen. Kennt man die Gewohnheiten, dann kann man sie für akustische Täuschungen aussnutzen. Die alten ZEN - Mönche haben die Hörgewohnheiten durch sog. Koans zu befreien versucht, etwa: "Wenn du wegnimmst Sinn und Ton - was hörst du dann ?" - ZEN - Koan practice (Diese Erklärung gibt es leider nicht auf der deutschen Wikipedia.).

Rhetorische Tricks sind den Tricks der Illusionisten ähnlich. In dem Wort "Illusion" steckt das lateinische "lux", unser deutsches "Licht". Illusionisten wenden sich an das menschliche Auge und seine Gewohnheiten. Hätten wir keine Sehgewohnheiten, könnten wir die optischen Wahrnehmungen nicht verstehen. Die berühmten Bilder von M.C. Escher erheben die optischen Täuschungen zur Kunst. Man kann sie als Befreiung der optischen Täuschungen betrachten.

Wir sind heute unangenehm berührt, wenn uns aufgeht, dass unsere Sinnesgewohn-heiten die Grundlage unserer Sinnestäuschungen sind, z.B. dass "Illusion" ganz wörtlich "Einleuchtung" bedeutet und wir unsere Illusionen als einleuchtend empfinden. Aber genau das sagen alle alten religiösen und philosophischen Systeme und versuchen, jedes auf seine Weise, den Menschen da heraus zu helfen.

In den Essays - ihre Titel sind permanent sichtbar unter dem Seitenkopf -  und den Kurzbeiträgen - den Posts in der Seitenmitte -  werde ich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, die auf diesen Techniken beruhenden rhetorischen Tricks der politischen Gegenwart an konkreten Beispielen aufdecken.

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