Mittwoch, 18. Oktober 2017

USA-Vatikan Beziehungen in einer post-amerikanischen Welt: Exkurs zur Kulturtheorie von Jean Gebser

US-Vatican relations in a  post-American world: Excursion to the cultural theory of Jean Gebser



Teil 4 / Part 4 - Letzer Update 20.10.2017
Die Artikelserie über die Beziehungen zwischen den USA und dem Vatikan in einer post - amerikanischen Welt ist nicht das Skript eines Proseminars, sondern verfolgt eine wichtige Frage:

Kann der Vatikan unter Papst Franziskus dem internationalen Risikofaktor USA unter Präsident Trump Grenzen setzen?

Die Wahrsagerei ist kein einträglicher Beruf. Ob die rechten oder linken Kulturtheorien der letzten 100 Jahre über das Niveau von Wahrsagerei hinaus gekommen sind, wird ernsthaft bestritten. Aber was Jean Gebser mit seiner Mutationstheorie des mensch-lichen Bewusstseins 1939 in Spanien begonnen, 1949 in der Schweiz beendet und 1966 ebenda ergänzt hat, ist von einem anderen Holz. Gebser konnte als Staaten-loser in unruhigen Zeiten keinen akademischen Titel erwerben, hat dennoch uner-müdlich geforscht und geschrieben. Niemand weiß genau, wie oft sein Hauptwerk "Ursprung und Gegenwart", bzw. "The Ever-Present Origin" später in wissenschaft-lichen Arbeiten zitiert wurde, oft ohne Quellenangabe. Die Jean Gebser Gesell-schaft wird darüber vielleicht Auskunft erteilen können.


Die grundlegenden Betrachtungen


"Wunschbilder haben angesichts der heutigen Zerstörungswaffen weniger denn je Bestand. Aber es wird sich zeigen, dass nicht nur diese Waffen und die Atomspaltung Wirklichkeiten sind, mit denen wir rechnen müssen, sondern dass auch die geistige Wirklichkeit in einer potenzierten Form wirksam zu werden beginnt."

Nein, dieser Text aus den grundlegenden Betrachtungen ist kein Vorgriff auf das esoterische New Age, wie man sogleich sehen wird.

"Es gibt genügend historische Beispiele von Untergangskatastrophen ganzer Völker und Kulturen; es sind Untergänge, die durch den Zusammenstoß defizient gewordener, erschöpfter, nicht mehr zum Fortbestand ausreichender Haltungen mit neuen, kräftigeren und in gewissen Eigenschaften überlegenen Haltungen ausgelöst wurde." Das wird an einem Ereignis festgemacht, welches Völkerkundlern aus der Chronik des Fray Bernardino de Sahagún bekannt ist, nämlich dem Zusammenstoß der magisch-mythischen, unperspektivischen Welt der mexikanischen Azteken mit der rational-technischen, perspektivischen Haltung der spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert.

"Das dreizehnte Kapitel, darin wird erzählt, wie Montecuhcoma,
der mexikanische König,
andere Zauberer schickt,
dass sie die Spanier zu behexen suchen sollten,
und was ihnen auf dem Wege geschah.
Und die zweite Schar von Boten,
die Wahrsager, die Zauberer
und die Räucherpriester,
gingen ebenfalls sie zu empfangen (ihnen entgegen).
Aber sie taugten nichts mehr,
sie konnten de Leute nicht mehr bezaubern,
sie konnten ihren Zweck bei ihnen nicht mehr erreichen,
sie gelangten (sogar) nicht mehr zu ihnen hin."

Ursprung und Gegenwart, 4. Auflage 2007, Grundlegende Betrachtungen, S. 30

Die magisch-mythische Haltung zerbrach in dem Augenblick, als sie auf die rational-technische traf. Es war nicht, wie Materiegläubige meinen, die materielle Über-legenheit der Spanier, sondern die "Schwäche des mexikanischen und die Stärke des spanischen Bewusstseins.... Es ist der grundlegende Untertschied zwischen dem ichlosen, clan- und kollektiv-gebundenen Menschen und dem ichbewussten, individualisierten. Denn der Zauber, der echte, magische Zauber, der für die Mexikaner ein tragendes Bewusstseinselement kollektiver Art war, wirkt nur auf die clanmässig Gleichgestimmten; an nicht clanmässig Gebundenen und Gleichgestimmten prallt er ab. Nicht der Besitz überlegener Waffen, ..., sondern der eines Ichbewusstseins machte den damaligen Spanier den Mexikanern überlegen, und zwar derart überlegen, dass sich die Mexikaner fast kampflos ergaben. Hätten sie aus ihrer ichlosen Haltung heraustreten können, so wäre der Sieg der Spanier zweifelhaft und gewiss nicht so leicht gewesen."

a.a.O. S. 31
[ Die Quellen, auf die Gebser sich stützt, werden im Kommentarband detailreich aufgelistet. Wissbegierige sollten die Bücher kaufen; sie sind nicht teuer im Vergleich zum wissenschaftlichen Wert. ]

Filmbeispiel Apocalypto


Eine bekannte Verfilmung eines solchen Zusammenstoßes ist Apocalypto von Mel Gibson. Er siedelt den Ort der Handlung zwar auf der Halbinsel Yucatàn an, dem Siedlungsgebiet der Maya. Das scheint aber vernachlässigbar, weil der Zusammen-stoß der Bewusstseinsstrukturen im Filmfinale den Zusammenbruch der magisch-mythischen Epoche für das Publikum heute besser veranschaulicht, als es ein Text könnte.

Finale von Apocalypto
Opferkulte sind wissenschaftlich erforscht, wie z.B. der Opferkult der Azteken .  Im Film verfolgen die Maya einen Versklavten auf der Flucht. Der Flüchtling führt sie an die nahe Küste, wo der bloße Anblick der spanischen Segelschiffe die Verfolger so erschüttert, dass sie von der Verfolgung und jedem Verteidi-gungsplan absehen.


Der Film ist auf YouTube veröffentlicht. 


Weitere Beispiele für den Zusammenbruch von Kulturen


Im Kommentarband zu Ursprung und Gegenwart nennt Gebser als weitere Bespiele den Sieg der Eidgenossen bei Morgarten 1315  gegen das Heer von Herzog Leopold. Das neue Ichbewusstsein der Schweizer siegte über die traditionsgebundenen, clanmäßig geschlossenen Heerhaufen der Österreicher; so gewann die kleine Zahl die militärische Überlegenheit über die große Zahl.

Auch der Sieg der Griechen über das Perserheer unter Xerxes dürfte auf eine ähnliche Konstellation zurückzuführen sein. 
"Die im Ich erstarkenden Griechen waren der defizient-magischen Haltung des Satrapenkönigs Xerxes überlegen, der den Hellespont peitschen ließ, um ihn zu strafen, da die unruhige Meerenge das Übersetzen seines Heeres nach Griechenland verzögerte."
Kommentarband Anmerkung 6 zu Seite 31
Weitere Beispiele bis hin zum 2. Weltkrieg werden historisch versierten Lesern vielleicht gegenwärtig sein.


 Die Verbindung zu unserer Frage


Wo darf man eine Antwort auf die Frage suchen, ob der Vatikan unter Franziskus dem internationalen Risikofaktor USA unter Trump Grenzen setzen kann? Gebser wird bei aller Genialität die heutige Situation nicht vorausgesehen haben. Was er aber tun konnte, war die Folgen aus den erkannten Befunden zu ziehen.

Die gebotene Kürze eines Blogs erfordert die Beschränkung auf eine Stelle am Ende seines Riesenwerkes.
Die Grundlagen unserer Denkweise sind bereits durch Tatsachen verändert, umstrukturiert. Dieser Umstrukturierung kann sich auf Dauer niemand entziehen. Unmerklich und selbstverständlich wird die neue Bewusstseinsstruktur für jeden Gültigkeit erhalten. ... Die letzten Versuche der defizient mythischen Eopche [ des ersten Jahrhunderts ]... sind von der effizient mentalen Bewusstseinstärke des Christentums überwunden worden. Das defizient mentale, das rationale Bewusstsein wird sich in zunehmender Technisierung und in zeitfalscher Anwendung der Technik selber das Grab schaufeln und - dies ist keine Prophetie, sondern Darlegung einer naturnotwendigen Entfaltung, die bereits durch das spanisch-mexikanische und das schweizerisch-österreichische Beispiel anschaulich gemacht worden ist - durch ein intensiviertes Christentum, durch das integrale Bewusstsein überwunden werden.
Ursprung und Gegenwart, S. 673, Die Manifestationen der aperspektivischen Welt, 2. Das tägliche Leben.

Ausblick


Die USA unter Präsident Trump sind einstweilen im Griff eines defizient mentalen, rationalen Bewusstsein, dessen übermäsßige Verwurzelung im weißen Clandenken deutlich ist.  Die entscheidende Frage ist, ob ein solches Denken durch eine "arme Kirche", die an der Seite der Armen steht, überwunden werden kann. Wir werden nicht vergessen, dass in den USA wie auch in der katholischen Kirche das Ringen der beiden Bewusstseinsstrukturen vor sich geht. Es wird sich zeigen müssen, welche Bewusstseinsstruktur am Ende stärker sein wird.

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