The EU as we know it is already dead
Die hauptsächliche Quelle der Spaltung ist das Management der Migrationen
The main source of division for Europe is the management of migrations
Das sagt Rafael Hasenknopf in der grössten katholischen Tageszeitung Europas LaCroix International. Er interviewte Patrick Moreau, Politologe
beim Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in Frankreich.
Foto LaCroix International 8.6.2018 |
Die populistischen Parteien seien jetzt in einer guten
Situation, weil Europa in einer Krise steckt, sagt Patrick Moreau. Populistische, euroskeptische Parteien scheinen mit
jeder Wahl auf dem Kontinent Fuß zu fassen. Doch dieser Vormarsch bedeutet
nicht, dass sie bei den Europawahlen 2019 dominieren werden.
Das Interview in Englisch kann nachgelesen werden
The EU as we know it is already dead
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Hasenknopf im Interview mit Patrick Moreau
Raphaël Hasenknopf: Sehen Sie bei den Europawahlen im Mai
2019 einen Anstieg der euroskeptischen Bewegungen als unvermeidlich?
Patrick Moreau: Es ist noch zu früh, das zu sagen. Im
Vergleich zu den Wahlen 2014, die uns als Referenz dienen, hat sich die
geopolitische Situation in Europa stark verändert. Es gibt keine deutsche
Zentralität mehr und Europa ist in viele antagonistische Blöcke zersplittert.
Eine gewisse Anzahl von Akteuren, wie die europhobische britische Partei Ukip oder bestimmte traditionalistische Parteien, die Souveränität wollen, besonders in
Litauen, werden wahrscheinlich verschwinden. Die national-populistischen
Parteien werden sich der Konkurrenz rechts von ihnen stellen müssen. Eine
Vielzahl neuer Akteure und eine völlig andere politische Konstellation gibt es
jetzt.
Raphaël Hasenknopf: Haben
sich die populistischen Parteien seit den Wahlen von 2014 selbst verändert?
Patrick Moreau: Die Positionen der national-populistischen Parteien zu
Europa haben sich deutlich entwickelt. Im Jahr 2014 waren sie alle gewaltsam
antieuropäisch. Im Jahr 2018 haben sie Europa einfach nur kritisiert, weil sie verstanden haben, dass eine Mehrheit der Wähler nur eine
Reform der Europäischen Union wollte und nicht ihr Verschwinden. So sehen wir
einen semantischen Wandel von einer traditionellen Anti-Europa Haltung zu einer
einfachen kritischen Haltung.
Raphaël Hasenknopf: Könnten diese neuen Europaparlamentarier letztendlich Europa
"töten"?
Patrick Moreau: Die EU ist, zumindest wie wir sie jetzt kennen, bereits tot.
Das Bündnis zwischen der deutschen Zentralität und der Europäischen Kommission
existiert nicht mehr. Sehen Sie sich die Wahlen der letzten Monate in
Österreich, Italien und der Tschechischen Republik an: In all diesen Ländern
sind teilweise populistische Parteien als Mitglieder regierender Koalitionen an
der Macht.
Raphaël Hasenknopf: Eine Reihe von Euroskeptikern hat die beherrschende Stellung
Deutschlands in der EU offen in Frage gestellt. Ist Deutschland also für diesen
Wählerwechsel verantwortlich?
Patrick Moreau: Darum geht es weniger. Die hauptsächliche Quelle der Spaltung Europas ist das Management von Migrationen, sowohl für Flüchtlinge aus Ländern
des Nahen Ostens wie Syrien und Irak, als auch für
"Wirtschaftsmigranten". Die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela
Merkel im Jahr 2015, die Grenzen zu öffnen, hat Europa völlig gespalten. All
die Matrizen, die wir haben, korrelieren das. Sollte sich die Flüchtlingskrise
erneut verschärfen, können wir mit einem starken nationalen Populismus rechnen.
Raphaël Hasenknopf: Und wenn die Ankunft neuer Migranten unter Kontrolle bleibt?
Patrick Moreau: Dann würden die nationalen populistischen Parteien sich mit vielen anderen Parteien
messen müssen.
Es würde eine starke Konkurrenz von linksradikalen Parteien
bestehen, wie zum Beispiel La France in Frankreich oder Podemos in Spanien, und
andererseits von einer radikalisierten konservativen Rechten wie in Polen. Die
populistischen Parteien sind derzeit in einer guten Position, weil Europa eine
Krise durchlebt, aber es ist nicht wahr, dass sie einen offenen Boulevard
haben, der frei von Konkurrenz ist.
Raphaël Hasenknopf: Könnte Emmanuel Macrons Plan für eine europäische Reform die
Lösung für den Euroskeptizismus sein?
Patrick Moreau: Wir müssen ehrlich sein: Emmanuel Macron ist allein. Die
Antwort von Angela Merkel war sehr vorsichtig. In einigen Punkten stimmen sie
teilweise überein, aber im Grunde will niemand den Plan des französischen
Präsidenten. Solange die deutsche Bundeskanzlerin die Einwanderungsfrage in
ihrem eigenen Land nicht löst, kann sie nicht vorankommen. Sie befindet sich in
einer Situation außergewöhnlicher Schwäche und in Europa ist sie auch weitgehend
isoliert.
Meine persönliche Einschätzung
- Das französische CNRS ist nicht irgendwer, sondern die grösste staatliche Denkfabrik - vgl. Centre national de la recherche scientifique
- LaCroix International ist nicht irgendwer, sondern die grösste katholische Tageszeitung in Europa im vollständigen Besitz einer französischen Augustiner Kongregation, die eng mit der wissenschaftlichen Tradition Frankreichs verbunden ist. Der politische Einfluss französischer Katholiken wird bei uns stets leichtsinnig gering geschätzt.
- Die wichtigste Erkenntnis besteht darin, dass das Bündnis zwischen der "deutschen Zentralität" und der Europäischen Kommission nicht mehr existiert. Es geht das Gerücht, dass die Unionsspitze an einer Neuauflage dieses Bündnisses arbeitet und David McAllister, den ehem. Minister-präsidenten von Niedersachsen als Nachfolger von Jean-Claude Juncker dorthin setzen will. Ehrlich: ich würde das lassen. Es kann nur nach hinten losgehen.
- Die zweit wichtigste Erkenntnis besteht darin: Macron ist alleine und Merkel ist schwach und isloiert. In solchen Situationen ist es vernünftig, sich mit dem nächsten Partner zu einigen. Aber Menschen reagieren in ihrer Not nicht vernünftig. Es gibt da einige unschöne Dinge zwischen Merkel und Macron in der Vergangenheit, die bereinigt werden könnten.
- Diese Dinge hängen zusammen mit meinem letzten Punkt: die Migrationen begannen 2015, aber die Bankenkrise begann 2008 und endete mit der Ausplünderung Griechenlands und später Spaniens und Portugals. Da war Macron noch sozialistischer Wirtschaftsminister unter Hollande. Er stand damals auf der Seite der Griechen und half dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Merkel hat ihn verschiedentlich düpiert, regelrecht abgekanzelt.
Wie man es dreht und wendet: die Berufs - Europäer müssen konsequent Abschied nehmen von ihrer scheinbar sicheren Machtposition. Je länger sie sich sträuben, desto schmerzhafter wird es. Sie müssen ihre Reformprojekte an die neue politische Konstellation anpassen.
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