Montag, 21. November 2016

Migration bringt unerledigte Probleme der Deutschen ans Licht

Bei einer kürzlichen Veranstaltung über das Integrationsgesetz sagte der Referent, dass Migration und Integration die deutsche Gesellschaft mir ihren eigenen nicht aufgearbeiteten Problemen konfrontiert. Damit befand er sich in guter Gesellschaft: Kirchen, Integrationsbeauftragte, Sozialwissenschaftler sagen das schon seit vielen Jahren und auch einige prominente Zuhörer waren offensichtlich derselben Meinung. Wie stets bei solchen Abenden blieb keine Zeit, die unerledigten Probleme näher ins Auge zu fassen oder wenigstens zu benennen. Und jeder weiß, wie sehr es sich rächt, wenn man wichtige Probleme nicht konfrontiert. Mir fiel sofort das Problem der "Zwangsdemokraten" ein, die seit dem Kriegsende in der alten Bundesrepublik und seit der Wende in den neuen Ländern überlebt haben. Ich hätte gerne
mit den anderen Zuhörern darüber gesprochen und sie gefragt, was sie darüber denken und was man dagegen unternehmen kann. Das war nicht möglich und so hoffe ich, dass die Unterhaltung hier auf einem Blog erfolgen kann.

Das Wort "Zwangsdemokraten" habe ich zum ersten Mal durch das Buch Die zweite Schuld oder von der Last, Deutscher zu sein von Ralph Giordano kennengelernt, einem in Deutschland, besonders in Köln bekannten Journalisten und Publizisten, Autor vieler Bestseller, der 2014 verstorben ist. Der Mann, das Wort und das Buch hat vielen nicht gefallen, aber es ist keine Frage des Gefallens, sondern der Aufrichtigkeit, die immer schwer fällt.

"Mit der Katastrophe Hitler hat die deutsche Sehnsucht nach dem starken Mann eine schwere Niederlage erlitten - gestorben ist sie mit ihm keineswegs." So beginnt das Kapitel  FJS und die Zwangsdemokraten. "Vaterfiguren wie Konrad Adenauer, aber auch Macher wie Helmut Schmidt, dürften jedenfalls einen Teil ihres Erfolges dem untergründigen Massenwunsch verdankt haben, von sicherer Hand straff gelenkt zu werden. Aber weder der alte Autokrat noch der sozialdemokratische Sozialist waren die Auserkorenen der Sehnsucht nach dem starken Mann. Hauptauserkorener war und ist seit nunmehr fast vierzig Jahren Franz Josef Strauß!"  - Das Buch wurde 1987 geschrieben.

Giordano berichtet über seine Erfahrungen bei Treffen der CSU, die manch geschockten Berichterstatter anderer Breiten zu dem Schluss kommen ließen: Stimmung wie auf einem Nürnberger NS - Reichsparteitag: Isolations- und Aggressionstrieb vereinigten sich zu einer hochexplosiven Mischung nicht nur in Bayern.

"In einem vollbesetzten Gartenlokal des Sylter Kurortes Kampen, zweite Hälfte der Siebzigerjahre, noch während der sozialliberalen Koalitionsregierung Schmidt/Genscher. Plötzlich, alles übertönend, hängt ein Ausruf in der klaren Seeluft, gleichsam geronnen, wie ablesbar: Da kann doch nur einer helfen -Franz Josef Strauß !" - Das sei aus einem Kreis gekommen, in dessen Mittelpunkt Peter Boenisch war, damals Chefredakteur der Bild - Zeitung, später kurzfristig Sprecher der ersten Regierung Kohl.

Seit ich das Buch gelesen habe, konnte ich verstehen, was Angela Merkel mit Edmund Stoiber und Horst Seehofer alles aushalten musste und künftig auszuhalten bereit ist. Es geht auch nicht anders. Im Kapitel Vom Versuch, einen Schlusstrich zu ziehen berichtet Giordano über "viele ermutigende Beispiele der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte, an Ort und Stelle, direkt, im Kreis, im Stadtteil, manchmal auch nur auf dem Areal weniger Strassen. Dahinter stecken Kraft, Motiviertheit, ehrliche Absicht, gerade hinsichtlich der verdrängten und verleugneten Nazizeit - Söhne, Töchter, Enkel versuchen, die elterliche und großelterliche Maske des Schweigens zu lüpfen. ... Ohne Verdrängungsblockade, ohne den Willen zu historischer Schönung."

"Der Zwangsdemokrat führt kein leichtes Leben" schrieb Giordano 1987 im o.a Kapitel FJS und die Zwangsdemokraten. Er müsse dauernd taktieren "zwischen dem, was er eigentlich will, und dem, was er darüber äußert - ohne sich zu enttarnen. Die Welt um ihn herum, der Staat, die Gesellschaft, sie sehen ganz anders aus, als er sie haben möchte, da er fortwährend auf Schranken stößt, die er nicht ohne Weiteres durchbrechen kann. Aber gegen sie anlaufen, mit dem Zepter der Demokratie in der Hand, das kann er. Und das tut er auch, sozusagen fortwährend testend, wie belastbar sie ist und wie weit die Verfassung sich dehnen lässt."

Das war 1987 noch so. Nun erleben wir aber seit 2015, dass die Zwangsdemokraten keine Lust mehr haben, sich zu tarnen. Seitdem treiben die ehemaligen Zwangsdemokraten immer offener das kleiner werdende Häuflein der Demokraten vor sich her, in Deutschland, Europa und nun auch in Amerika. Darüber hätte ich mit den Zuhörern der eingangs erwähnten Veranstaltung gerne gesprochen.

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