Donnerstag, 12. Januar 2017

Digitaler Umsturz - Teil 6: Kultur der Lüge führt zu umfassendem Vertrauensverlust

Der digitale Umsturz ging Hand in Hand mit den ungenierten Einsatz der Lüge als Mittel der Politik. Vorausgegangene Posts haben das von verschiedenen Seiten beleuchtet. Die Folgen für den Journalismus, die Pressefreiheit und den Bestand der Demokratie wurden von den meisten deutschen Medien nur in verhüllter Sprache thematisiert. Eine Ausnahme stellte der Deutschlandfunk dar, der dem Thema eine Sendung widmete - vgl. Digitaler Umsturz - Teil 5: wirklich nur unamerikanische Paranoia? Die außergewöhnliche Sendung kann bis zum 25.06.2017 nachgehört werden: DLF: Zur Lage der Medien im postfaktischen Zeitalter Für die Zeit danach kann sie als MP3 heruntergeladen werden. Die wichtigsten Aussagen werden festgehalten, weil uns hier in Deutschland diese Ereignisse schneller einholen können, als viele denken.

Es handelt sich um folgende Sendung:


A. Stopp:
Wir möchten einen transantlantischen Dialog führen über postfaktische Zeiten, ein Thema, das für den Journalismus von gewaltiger Bedeutung, vielleicht sogar voller Sprengkraft ist. Per Leitung verbunden sind wir daher mit den Machtzentren der beiden Staaten, die das ganze abgelaufene Jahr eine besondere Rolle spielten rund um die Entstehung der Vokabel "postfaktisch"... Also - Moskau und Washington sind heute Abend über uns hier zusammengeschaltet. In Moskau unserer Korrespondentin Gesine Dornblüth einen Guten Abend ... und in Washington ... einen Guten Tag an Herrn Thilo Kößler ...
B. Baetz:
Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat das Wort praktisch zum Wort des Jahres 2016 erklärt. Es verweise darauf ..., dass es in unserer Gesellschaft zunehmend um Emotionen statt um Fakten gehe und dass ein Teil der Bevölkerung bereit sei, auf den Anspruch auf Wahrheit zu verzichten und Tatsachen zu ignorieren und offensichtliche Lügen zu akzeptieren. In den USA wurde das deutlich durch die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten, eines Mannes, der nachweislich im Wahlkampf mehrfach gelogen hat. Und in Russland steht mit Wladimir Putin ein Politiker an der Spitze, der den kreativen Umgang mit der Wahrheit zum wichtigen Element seiner Propaganda gemacht hat. Für beide Männer sind Medien entweder Sprachrohr oder Feind, keinesfalls aber das, was sie in einer funktionierenden Demokratie sein sollten, nämlich diejenige Kraft, die die Öffentlichkeit möglichst umfassend und möglichst gründlich informieren und den Mächtigen auf die Finger schauen sollte. 
A. Stopp:
Thilo Kößler, Donald Trump und die Journalisten. Was ist das überhaupt für ein Verhältnis?

T. Kößler:
Das ist ein miserables Verhältnis, Andreas Stopp. Er pflegt ein Verhältnis zu den Medien, das im Wesentlichen aus einem Ritual der Beschimpfung und dem Ritual einer Stilisierung als "Lügenpresse" besteht. Wir haben ziemlich heftige Szenen erlebt während des Wahlkampfes, wo er mit dem Finger auf den Pressetross z.B. der Washington Post gezeigt hat. Er hat die Washington Post teilweise von seinem Wahlkampf ausgeschlossen, er hat ihr die Akkreditierung entzogen. Er hat ein sehr, sehr großes Problem im Umgang mit der Presse, auch was die Informationsvermittlung angeht. Er hat, seit er im Amt des president-elect ist, nicht eine einzige Pressekonferenz gegeben. D.h. er geht einem Diskurs aus dem Weg , er geht dem Ritual des Frage- und Antwortspiels aus dem Weg und er stellt sich nicht mehr der Öffentlichkeit. Er dekretiert und man wird abwarten müssen, ob er seine Twitterkultur, die er ja von der Bettkante aus pflegt, morgens oder spät abends, ob er die tatsächlich zu einem Stilmittel seiner Politik machen wird. 
B. Baetz:
Nun gilt Trump ja als Putin - Bewunderer. Gesine Dornblüth, Sie sind Deutschlandradio - Korrespondentin in Moskau. Wie ist denn das Verhältnis Putins zu Journalisten überhaupt? Hat der überhaupt eins? 
G. Dornblüth:
Ja, das hat er schon. Und ich hab gerade dem Kollegen Thilo Kößler mit Interesse zugehört. Hier stellt sich das ein bisschen anders dar. Die Presse, die Journalisten sind für Putin und die russische Regierung Verbündete sozusagen. Es gibt hier fast keine freie Presse. Und die Journalisten, mit denen Putin und die russische Regierung sprechen, das sind staatstreue, kremltreue oder zumindest kremlnahe Journalisten. Die werden auch gerne mal als Teilnehmer eines Informationskrieges bezeichnet, bezeichnen sich auch teilweise selbst so. Und das, was der Presse eigentlich zukommt, nämlich die Regierung zu kontrollieren, das findet hier nur in sehr eingeschränkter Art und Weise statt.
T. Stopp:
Thilo Kößler, Sie hatten es gerade schon mal angedeutet. Diese klassischen Pressekonferenzen, die  wir hier in Europa ja auch kennen - Trump will die abschaffen. Welcher Verlust wäre das in Ihren Augen?
T. Kößler:
Das wäre ein immenser Verlust und die amerikanische Presse ist im höchsten Maße beunruhigt. Er verändert die Informationskultur. Ich sagte schon, man hat den Eindruck, er geht nicht mehr in den Diskurs, er entzieht sich der Verpflichtung, seine Politik zu erklären, zu begründen. Und so, wie es aussieht, verändert er auch die entsprechenden Stilmittel. ... Er hat immer wieder gelogen. Ich darf vielleicht mal eine Zahl in den Raum werfen. Das Institut "Politifacts" hat 168 Statements von Trump untersucht und kam zum Ergebnis, dass 70% dieser Aussagen überwiegend falsch oder falsch oder komplett falsch gewesen sind. D.h. hier kommt eine ganze Kultur durcheinander ... und die Journalisten ... sehen sich in der Aufgabe, den Wahrheitsgehalt Donald Trumps zu überprüfen ...
[ Unterhaltung zwischen Dornblüth und Kößler, interessant, muss aber nicht unbedingt festgehalten werden.]

A. Stopp:
Nun hätten wir ja nie für möglich gehalten, dass es in USA soweit kommen könnte, wie es in Russland gang und gäbe ist. Thile Kößler, Trump hat ja im Wahlkampf angekündigt, sogar gerichtlich gegen Journalisten vorgehen zu wollen. Ist das eine leere Drohung oder müssen sich die amerikanischen Kollegen da auf einiges gefasst machen?
T, Kößler:
Das ist hier alles in der Diskussion ... Ich sagte ja schon, dass der Pressetross beunruhigt ist ... Sie wissen, dass Trump vor keinem Mittel zurückschreckt, seine Gegner mundtot zu machen. Das kann man an seinen täglichen Tweets sehen, er schreckt nicht davor zurück zu denunzieren, ... richtiggehend zu bedrohen, ... Namen zu nennen und mit dem Finger auf bestimmte Leute zu zeigen. Und vor allen Dingen, er schreckt vor keinem Prozess zurück. [Kößler berichtet über die letzte Pressekonferenz Obamas am 16.12.2016: "Warten Sie ab, bis er im Amt ist und die Verantwortung auf seinen Schultern spürt." Daraus schöpt Kößler Hoffnung: ] "Natürlich kann ein Präsident Journalisten nicht mit Klagen überziehen."
[ Dornblüth berichtet, dass 87% der russischen Medien in Staatsbesitz sind. Darüber hinaus gebe es hochwertige Medien wie die Gruppe RBK. Die sei aber 2016 vom Ölriesen Rosneft auf 45 Mio € verklagt worden. Darüber wurde berichtet u.a. Medium soll zerstört werden Das Gericht, ein Arbitragegericht, hätte sich in dem Fall auf die Seite der Fakten gestellt und RBK nur zu 6.000 € verurteilt. Das wurde von vielen Kommentatoren als Warnschuss gewertet, besser nicht mehr über Rosneft zu schreiben. Ferner gebe es wenige gute Journalisten mit hohen Zielen, die mit ihrer Arbeit aber kein Geld verdienen können. ]

A. Stopp:
Da bringen Sie uns natürlich auf die Frage, wie es in Zukunft aussehen wird mit dem Jourmalismus. ... Thilo Kößler, Donald Trump lügt bewiesenermaßen, man kann ihm das nachweisen, aber die Menschen glauben ihm dennoch. ... Welche Chance hat der klassische Journalismus in den USA angesichts dessen?
T. Kößler:
Das ist die Kernfrage, glaube ich. Was bedeutet es? Wir haben einen postfaktischen Wahlkampf gesehen, jeder konnte behaupten, was er wollte. Donald Trump hat das Prinzip der Lüge in den Wahlkampf eingeführt. Er lügt so oft und soviel, dass eine Unterscheidung seiner Aussagen nach richtig und falsch kaum mehr möglich ist. Es hat jemand ausgerechnet, dass im dritten Fernsehduell Hillary Clinton ihre gesamte Redezeit darauf hätte verwenden müssen, die falschen Behauptungen von Donald Trump als solche zu kennzeichnen, gar nicht mehr richtig zu stellen, sondern nur als solche zu kennzeichnen. - Was bedeutet das, wenn Lüge zum Stilmittel der Politik wird? -  Das ist eine politische Waffe. Wenn ich Lügen wiederhole, davon bleibt etwas. Wenn ich Narrative in die Welt setze, die verfestigen sich. Wenn man Menschen permanent mit Lügen konfrontiert - darauf hat Obama gestern auch hingewiesen -, dann irgendwann glauben sie es. D.h. diese Lügenkultur hat gesellschaftliche Folgen. Wir werden es zu tun haben mit einem umfassenden Vertrauensverlust, den man ja jetzt schon sehen kann anhand dieses Wahlergebnisses. Die Basis der Verständigung geht verloren, Verständigung auf gewisse Mindest - Standards. Und dieser Vertrauensverlust betrifft nicht nur die Politik und die Politiker, sondern auch die Institutionen des Staates. Und das ist eine dramatische Entwicklung ... Und jetzt komme ich zur Antwort auf ihre Frage. Ich glaube, dass die Kollegen der großen Zeitungen - Washington Post, New York Times - gerade eine neue Funktion entdecken, ein neues Berufsethos gerade entwickeln und sich wirklich in die Rolle einer Wächtersituation begeben und sagen: Wir müssen überprüfen, ... wir müssen jetzt Tiefenbohrung vornehmen, wir können nicht einfach nur widergeben. Z.B. wie gehen wir mit den Tweets von Donald Trump um? - Sind Tweets eine Nachricht? - Nein. Kann man mit 140 Zeichen Politik machen? Nur, man kann sie auch nicht übergehen. D.h. man muss sie einsortieren, in einen Zusammenhang stellen, man muss erläutern, erklären und man muss Geschichten erzählen. Wir haben hier die große Hacker - Affäre gehabt mit Russland, die die Öffentlichkeit sehr, sehr bewegt. Die New York Times hat zwei Seiten voller Recherche veröffentlicht, wie das begonnen hat. Welche Stimmen sich wann geäußert haben, um einfach in diesen Wust der Behauptungen und Zurückweisungen, der Vorwürfe, dieser furchtbaren Kultur, diesem permanenten Empörungsmodus - da Klarheit zu schaffen und zu sagen: Moment, hier sind die Fakten, es geschah das, dann geschah das, wir  sortieren das mal. Und ich glaube, das ist eine völlig neue fundamentale Rolle, die der Journalismus spielen muss.

[ Es folgt noch ein Gedankenaustausch, aber das Wichtigste ist hier festgehalten. Wie gesagt, die MP3 - Datei kann herunter geladen werden - http://www.deutschlandfunk.de/podcast-markt-und-medien.762.de.podcast.xml ]

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