Freitag, 29. September 2017

USA-Vatikan Beziehungen in einer post-amerikanischen Welt: kurzer historischer Rückblick

US-Vatican relations in a post - American world: short historical retrospect


Teil 2 / Part 2

Was hat der Vatikan einmal für die USA bedeutet?


"Zunächst war unser Hauptanliegen verständlicherweise der Vietnamkrieg. In dieser Hinsicht erwies sich der Vatikan als wertvolles Mittel zur Verbesserung der Kommunikation mit unseren Kriegsgefangenen, die von den Nordvietnamesen gefangen gehalten wurden. Von ebenso großer Wichtigkeit war die Hilfe, mit der der Vatikan unserer Bitte entsprach, das Bewusstsein für den Kampf gegen den Drogenhandel unter den führenden Persönlichkeiten der französischen Regierung zu erhöhen. Doch von unschätzbarem Wert war das große Informationsvolumen, ...


das wir aus unseren unzähligen Kontakten innerhalb der Vatikanischen Bürokratie gewonnen haben. Es gab selten ein Land, ein internationales Problem oder einen Vorfall, bei dem der Vatikan nicht direkt oder zumindest indirekt beteiligt war. Unsere umfangreiche Berichterstattung über die fünf Jahre, die ich dort war, kann das bezeugen. Als Cabot Lodge einmal einen muslimischen Diplomaten fragte, warum sein Land im Vatikan eine beachtliche Präsenz aufrecht hielt, erklärte  er: 'Wir wollen nichts verpassen.' "

Das schreibt Robert F. Illing, einer der besten Kenner der Beziehungen zwischen den USA und dem Vatikan, im Nachwort seines Buches America and the Vatican, Trading Information after WWII, New York Februar 2011.

Illing arbeitete von 1970 bis 1975  als Assistent von Botschafter Cabot Lodge, den Präsident Nixon als seinen "persönlichen Vertreter" von Zeit zu Zeit zum Vatikan sandte. Der Status der beiden wurde damals als "Mission" bezeichnet. Sie wurde erst 1984 durch Präsident Reagan in den Rang einer Botschaft erhoben. Es sei angemerkt, dass Botschafter nicht beim Vatikan akkreditiert werden können, sondern nur beim Hl. Stuhl, wobei es sich um zwei verschiedene völkerrechtliche Subjekte handelt. Die "erratische" Beziehung zwischen den USA und dem Vatikan wird in Illings Buch von den Anfängen bei Benjamin Franklin 1782 bis zu Präsident Obama 2010 detailreich beschrieben.

Die Kernfunktion jeder amerikanischen diplomatischen Mission ist das Reporting, die Berichterstattung nach Washington. Jedem erfahrenen Diplomaten war unmittelbar klar, dass die Katholische Kirche ein nützliches, immenses inoffizielles Netzwerk zur Sammlung von Informationen in allen  Ländern hat, in denen sie arbeitet, was grundsätzlich die ganze Welt beinhaltet. Illing durfte das vatikanische Netzwerk für Berichte über Dutzende von Ländern nutzen, von denen in seiner aktiven Zeit 1970 bis 1975 Vietnam das wichtigste war.

Die Haltung des Vatikan zum militärischen Engagement der USA in Vietnam wurde von diesen als störend und unvereinbar empfunden:
To a certain extent, it appeared that the Vatican associated communism with the numerous heresies that had plagued the Church throughout its long history and viewed America’s crusade against international communism as analogous to the witch-hunts of the Inquisition. Something like killing the heretical believer to save his soul! 
In gewissem Maße schien es, dass der Vatikan den Kommunismus mit den zahlreichen Ketzereien assoziierte, die die Kirche während ihrer langen Geschichte geplagt hatten, und den amerikanischen Kreuzzug gegen den internationalen Kommunismus als analog zu den Hexenjagden der Inquisition betrachtete. Etwa wie das Töten des ketzerischen Gläubigen, um seine Seele zu retten! 
Illing, Robert F.. America and the Vatican: Trading Information after World War II (Kindle-Positionen1692-1694). History Publishing Company, LLC. Kindle-Version. 
Hier wäre noch sehr viel zu sagen, beispielsweise über die vernichtende Kritik der großen amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman, die sie in ihrem Buch "Die Torheit der Regierenden" gegen die aussichtslose Vietnam-Politik von Lindon B. Johnson und Richard Nixon geäußert hat. Der Vatikan sah die Dinge realistischer als die US - Regierungen. Er wollte unbedingt eine Konfrontation der Blöcke in Vietnam vermeiden und hat sich hierüber auch mit Russland und China verständigt.
Even the Soviet statesman Gromyko had expressed to the Pope his belief that both China and the Democratic Republic of Vietnam were deeply worried about the United States’ long-range intentions in Asia. 
Sogar der sowjetische Staatsmann Gromyko hatte dem Papst seinen Glauben zum Ausdruck gebracht, dass sowohl China als auch die Demokratische Republik Vietnam sich große Sorgen über die langfristigen Absichten der Vereinigten Staaten in Asien machen.
Illing, Robert F.. America and the Vatican: Trading Information after World War II (Kindle-Positionen1709-1710). History Publishing Company, LLC. Kindle-Version. 
Andere asiatische Länder von großer Bedeutung für die USA waren China, die Philippinen, Pakistan, Kambodscha, Korea. Die katholischen Länder in Westeuropa  erforderten die Aufmerksamkeit Washingtons: Spanien und Portugal, Italien, Malta, Nordirland. Die Ostpolitik des Vatikan schloss auch damals schon Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei ein. An der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE nahm der Vatikan regen Anteil zum Nutzen beider Blöcke des kalten Krieges.

Papst Paul VI., mit dem Illing sich oft auch privat getroffen hat, sagte ihm zum Abschied,
Pope Paul told me that God had given the United States a most important role in the modern world to make and keep the peace and that we have a sacred trust to fulfil this role. Following his recent meeting with President Ford and his observations of the president in action, he had a definite impression that the president was really taking the reins, especially in foreign policy. 
Papst Paul sagte mir, dass Gott den Vereinigten Staaten eine wichtige Rolle in der modernen Welt gegeben hat, um den Frieden zu schaffen und zu erhalten und dass wir ein heiliges Vertrauen haben, um diese Rolle zu erfüllen. Nach seinem jüngsten Treffen mit Präsident Ford und seinen Beobachtungen des Präsidenten in Aktion hatte er einen deutlichen Eindruck, dass der Präsident wirklich die Zügel in die Hand nahm, vor allem in der Außenpolitik.
Illing, Robert F.. America and the Vatican: Trading Information after World War II (Kindle-Positionen1022-1024). History Publishing Company, LLC. Kindle-Version. 
Solche Sätze lösen bei anderen vielleicht Unbehagen aus. Den Amerikanern klingen sie aber  vertraut, den Bewohnern eines Landes, das sich als "God's own country" bezeichnet und stolz auf die Vielfalt seiner religiösen Gemeinschaften ist, unter denen die Katholiken immer noch stark und einflussreich sind.

Die Zeit von 1782 bis zum 2. Weltkrieg


Die Bedeutung des Vatikan für die USA war nicht immer so hoch wie im 20. Jahrhundert. Auch hier ist Illings Buch eine wertvolle Ergänzung zu anderen Quellen, die der Leser durch "googeln" leicht herausfinden kann. Z.B. ist die Liste der US - Botschafter beim Heiligen Stuhl aufschlussreich, wenn man den den jeweiligen Kontext kennt.
US - Botschafter beim Heiligen Stuhl
Für die Amerikaner, die fest von der Trennung zwischen Staat und Kirche überzeugt waren, scheint es überraschend, dass Benjamin Franklin schon 1782 Gespräche mit Erzbischof Doria Pamphili, dem dortigen päpstlichen Nuntius über die Zukunft der katholischen Kirche aufnahm. Daraus entstanden 1792 die ersten konsularischen Verbindungen mit dem Kirchenstaat. Präsident John Adams ernannte den römischen Bürger Giovanni Battista Sartori zum ersten amerikanischen Konsul in Rom. Bevor der schon in Auflösung befindliche Kirchenstaat 1870 durch die Besetzung Roms endgültig zerfiel, hatte der Kongress 1868 dem Konsulat in Rom die Finanzmittel gestrichen.
Das Argument zu dieser Zeit war, dass der Kirchenstaat zum Verschwinden verurteilt war und es keinen Sinn machte, Geld für eine Mission zu verschwenden.
Illing, Robert F .. Amerika und der Vatikan: Handelsinformationen nach dem Zweiten Weltkrieg (Kindle-Position1548). Geschichte Verlag, LLC. Kindle-Version.
Interessanterweise erscheinen die USA im Annuario Pontificio, dem Jahrbuch des Hl. Stuhls, ohne Unterbrechung in der Liste der Länder, zu denen eine diplomatische Beziehung besteht. In Jahren, in denen kein amerikanischer Vertreter ernannt war, wurde der Name freigelassen. Daran änderte sich auch nichts durch die Lateran-verträge von 1929 zwischen dem Hl. Stuhl unter Pius XI und dem Königreich Italien, vertreten durch Benito Mussolini, die den Vatikanstaat als eigenständiges Subjekt des Völkerrechts in der Stadt Rom begründeten. 

Erst kurz vor dem 2. Weltkrieg vereinbarten Präsident Franklin D. Roosevelt und  Papst Pius XII, dass Botschafter Myron Taylor als persönlicher Vetreter von Roosevelt den Vatikan besuchen würde. Bis 1950 besuchte Taylor den Vatikan acht Mal. Sein ständiger Vertreter war Harold Tittmann vom State Department, der im Vatikanstaat wohnen musste, nachdem die USA gegenüber Italien den Krieg erklärt hatten.

Die Beziehungen im 2. Weltkrieg


Darüber gibt es wenig öffentlich zugängliche Literatur. Eine Ausnahme bildet FDR, the Vatican, and the Roman Catholic Church in America (1933-1945), Hrg. Woolner & Kurial 2003, das ich aber noch nicht einsehen konnte. Ein wichtiger Hinweis über die durch Präsident Franklin D. Roosevelt veranlasste Haltungsänderung von Papst  Pius XII.  gegenüber dem Kommunismus wurde journalistisch teilweise aufgearbeitet.

Der strikte Ablehnung des Nationalsozialismus und des Kommunismus hatte dessen Vorgänger Pius XI. in zwei berühmten Enzykliken
Mit brennender Sorge am 14. März 1937 (in deutscher Sprache)
und  
Divini redemptoris am 19. März 1937

verbindlich für alle Katholiken festgelegt. Die letztere enthält die Formulierung, dass "der Kommunismus in seinem innersten Kern schlecht ist, und es darf sich auf keinem Gebiet mit ihm auf Zusammenarbeit eingelassen werden."

Als Roosevelt 1941 den Plan fasste, in den Krieg gegen den Nationalsozialismus bzw. gegen die Achsenmächte einzutreten, suchte er den Nachfolger von Pius XI., den nun amtierenden Papst Pius XII. zu überzeugen, dass seine künftigen Verbündeten, die Bolschewisten, weniger gefährlich als die deutschen Nationalsozialisten wären.

Eine geheime päpstliche Dokumentensammlung wurde 1969 früher als gewöhnlich veröffentlicht und von 4 Jesuitenpatres herausgegeben. Der Spiegel hat damals einen lesenswerten Artikel darüber geschrieben.
Vatikan/Pius XII: Wenn Stalin siegt
Dort wird u.a. ein persönlicher Brief von Roosevelt an Pius den XII. zitiert, in dem er darum bittet,  dass alle Führer der Kirchen in den USA ihre Haltung gegenüber der Sowjetunion ändern, weil "Rußlands Überleben weniger gefährlich für die Religion, für die Kirche als solche und für die Menschheit im allgemeinen ist, als es das Überleben der deutschen Form von Diktatur wäre." Roosevelts Vertreter Myron Taylor drängte den Vatikan, er möge die katholische Opposition gegen die amerika-nische Regierungspolitik zum Schweigen bringen.

Das wurde vom Vatikan nicht gut aufgenommen, aber Pius XII. fand sich zu einem Kompromiss bereit: das russische Volk stehe in einem Verteidigungskrieg gegen den deutschen Angreifer. Ob die USA dem russischen Volk beistehen, sei eine politische Frage, die nur durch die US - Regierung zu treffen sei. Sein Vorgänger Pius XI. habe nur die kommunistische Ideologie verurteilt, aber nicht das russische Volk.

Damit wurde die Unterstützung des Krieges gegen die Nationalsozialisten und die übrigen Achsenmächte durch Katholiken ermöglicht.

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