Mittwoch, 22. November 2017

Ist Spaniens Krise eine Chance für Europa?

Is Spain's crisis Europe's opportunity?



Teil 5 / Part 5

Als das Kind im Brunnen lag, rief Spanien nach der Kirche

Am 3. Oktober 2017, zwei Tage nach dem katalonischen Referendum, rief die spanische Regierung die Kardinäle Osoro von Madrid und Omella von Barcelona zu einer Mediation nach Madrid. Tags darauf sprach Kardinal Omella mit dem katalani-schen Vizepräsidenten. Die Katalanen hatten die Beteiligung der Benediktiner - Abtei Monserrat gewünscht, des "Herzens der katalanischen Kultur".

Franziskus auf der COMECE
Der Schritt Madrids kam zu spät. Bereits im Sommer hatte die spanische Kirche zum Dialog aufgerufen, Madrid hatte jede Kompromiss-lösung blockiert. Das Verständnis der Kirche für die Katalanen ist seit den Haftbefehlen gegen deren führende Politiker eher gewachsen. Eine Lösung wird nur auf europäischer Ebene gesehen. So hatte sich die Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE)  im Vatikan getroffen, wo Papst Franziskus noch einmal seine Vision für ein solidarisches Europa vorstellte, die auf zwei ererbten Werten beruht: der Person und der Gemeinschaft.



Kann die katholische Kirche in der katalanischen Krise vermitteln?


Viele spanische Nachrichtenkanäle hatten sich Anfang Oktober beeilt, die Vermittlung durch die katholische Kirche als plausiblen Schritt anzukündigen. Die von der spanischen Regierung eingeladenen Kardinäle Carlos Osoro, Madrid, und Juan José Omella sollen sich gut verstehen, Omella soll Papst Franziskus nahe stehen. Damals, Ende der 70er Jahre, beim Übergang von der Franco - Diktatur zur Demokratie soll ja auch der Vorsitzende des Bischofsrates, Kardinal Vicente Enrique y Tarancón eine Schlüsselrolle bei der Versöhnung gespielt haben, schrieb das katholische Wochen-blatt Vida Nueva. 

Die Meldungen wurden von LaCroix International zusammengefasst, der größten europäischen katholischen Tageszeitung, die auch auf Englisch erscheint.
Can Catholic Church mediate the crisis in Catalonia?
Ihr zufolge wird Kardinal Omella von vielen als zu versöhnlich mit den Unterstützern der Unabhängigkeit gesehen. Der vom abgesetzen katalanischen Präsidenten Piudgedemont bevorzugte Benediktiner - Abt Josep Maria Soler hatte vor dem Referendum in einer Presseerklärung "das Entschiedungsrecht des Volkes über seine Zukunft " betont und geschrieben, dass der Vatikan die "Unabhängigkeit Kataloniens anerkennen" würde. Die Erklärung wurde von der Abtei in Poblet mit unterzeichnet. Beide Abteien nahmen am Referendum teil. Wenn eine Verrmittlung wirklich stattfände, dann könnten die Äbte eine wichtige Rolle bei der Versöhnung spielen.

Am 2. Oktober stand die katalanische Krise auch im Zentrum eines Gesprächs von Papst Franziskus mit dem neuen spanischen Botschafter beim Hl. Stuhl, Gerardo Bugallo. Dessen Akkreditierung bei Staatssekretär Kardinal Pietro Cardolin diente ebenfalls einem Austausch über die Krise.

Wie es scheint, hat Madrid diese Chance verpasst.


Warum sich Madrid in der Katalonien-Frage verrechnet haben könnte


Schon am 20. September veröffentlichte der österreichische Standard 3 Thesen zum Unabhängigkeitsreferendum der Katalanen. 
In Katalonien findet in den nächsten Monaten möglicherweise eine Revolution statt. Auch wenn derzeit noch unklar ist, ob der Urnengang über die Abspaltung der spanischen Region am 1. Oktober abgehalten wird oder was genau die Konsequenzen im Fall einer Ja-Mehrheit wären, im Rest Europas hört man darüber wenig Substanzielles. Das ist angesichts der Größe und der wirtschaftlichen Bedeutung der Region erstaunlich, weshalb drei Thesen eines nicht ganz unparteiischen Beobachters zur Diskussion gestellt werden.
Warum sich Madrid in der Katalonien-Frage verrechnet haben könnte

These 1: Warum das Referendum zwar formal illegal, aber grundsätzlich legitim ist und die geplante Umsetzung trotzdem problematisch bleibt

These 2: Der spanische Staat macht im Umgang mit dem "katalanischen Problem" gravierende Fehler.

These 3: Europa interessiert sich für das "katalanische Problem" nicht. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.

Warum kann ein so erfrischender journalistischer Wind nicht in unseren Medien wehen? Diese erstarren vielmehr im Schrecken oder in deplatzierten Anklagen, dass die Katalanen "politische Brandstifter" seien. Eine kurze Netzrecherche bringt Dutzende solcher Artikel an den Tag. Eine rühmliche Ausnahme ist wieder einmal der Deutschlandfunk mit seiner Reportage
Was die katalonische Unahängkeitsbewegung stark macht

In Kataloniens Interesse


Vor der Verhaftungswelle katalanischer Politiker forderte LaCroix International am 12. Oktober die Wiedereröffnung des Dialogs. 

LaCroix International 12.10.2017
Zur Begründung wurde wirtschaftlich argumentiert. "In der Debatte um die kata-lanische Unabhängigkeits-bewegung hört man oft, dass die Reichen krank wären und es satt hätten, dass ihr Wohlstand aus der Region abgeschöpft wird, um weniger wohlhabende Gebiete zu unterstützen. Es lohnt sich, dieses häufig gehörte Argument ernsthaft zu betrachten."


Und dann folgt eine kurze präzise Richtigstellung des wohlfeilen Arguments.

Katalonien ist Spaniens viertgrößte Region in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner. Madrid ist das reichste, gefolgt vom Baskenland und Navarra. Um es in einen größeren Zusammenhang zu stellen, war Kataloniens BIP pro Einwohner im Jahr 2014 geringer als in den Midi-Pyrénées, einer Region in Frankreich, die nicht besonders reich ist.

Der relative Reichtum der Region könnte jedoch durch die Unabhängigkeit bedroht sein. Es gäbe Kosten für den Aufbau von Militär, Grenzzoll, Währung und neuen politischen Institutionen. Abgesehen von den eigenen Schulden müsste es einige von Spanien übernehmen. Die Wirtschaft würde unterbrochen, während Verhandlungen zwischen dem neuen Staat und seinen Nachbarn geführt würden. Aus Angst, dass die Region von der EU abgeschnitten sein könnte, haben einige große Unternehmen bereits begonnen, ihren Hauptsitz nach außerhalb von Katalonien zu verlegen.

Insgesamt wären die Katalanen, wenn sie sich nur um ihr wirtschaftliches Interesse kümmerten, gegen die Unabhängigkeit, was bereits für einige der Fall ist, die am vergangenen Sonntag demonstrierten. Es hat jedoch ähnliche Fälle gegeben, wie das Brexit-Referendum, bei dem wirtschaftliche Bedenken die Stimmabgabe nicht beeinflusst haben.


Intelligente Verbindungen auf mehreren Ebenen der Zugehörigkeit


Eine Woche später mahnte La Croix International an, dass die Zukunft Europas auf der Grundlage von intelligenten Verbindungen auf mehreren Ebenen der Zugehörigkeit aufgebaut wird - lokal, national und kontinental - und nicht auf dem Gebiet des Isolationismus. 
Belonging (dt. Zugehörigkeit)

Konfliktlösung auf europäischer Ebene: COMECE und Vatikan schalten sich ein


Zur 60 Jahrfeier der römischen Verträge hatte die 
Kommission der Bischofskonferenzen in der Europäischen Gemeinschaft
und der Hl. Stuhl ein Symposion "(Re)Thinking Europe" veranstaltet. Euro-Parlamentarier, nationale Parlamentarier, Minister und Führer der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, Botschafter, Forscher, Bischöfe und Kardinäle konnten alle an dem Dialog teilnehmen, einschließlich Menschen, deren Ansichten zu Europa manchmal recht unterschiedlich waren.

Auf der Abschlusssitzung hielt Papst Franziskus eine lange und viel beachtete Rede, in der darauf drängte, das "Europa wieder eine Gemeinschaft wird"
Pope Francis urges Europe 'to become a Commnity again'
und in der er Schwierigkeiten nicht gemieden hat. Vielmehr betonte er, dass das Wort "Gemeinschaft", das von den Gründern gewählt wurde, "das größte Gegenmittel gegen den Individualismus ist, der unsere Zeit charakterisiert". 

"Der Begriff der Freiheit wird missverstanden und so gesehen, als sei er ein Recht, allein gelassen zu werden, frei von allen Bindungen", sagte er. "Infolgedessen ist eine entwurzelte Gesellschaft aufgewachsen, ohne ein Gefühl der Zugehörigkeit und der eigenen Vergangenheit."

Die Intervention des Papstes sollte jedoch in erster Linie einem als "Ort des Dialogs" verstandenen Europa neues Leben einhauchen und nicht einem Kontinent mit "gebrüllten Forderungen und Ansprüchen", in dem "das Gemeinwohl nicht mehr das Hauptziel ist". Die zuletzt genannte Sichtweise biete "extremen und populistischen Gruppen, die Protest zum Kern ihrer politischen Botschaft machen, den Nährboden, ohne die Alternative eines konstruktiven politischen Projekts anzubieten."

"Eine Europäische Union, die angesichts der Krise nicht das Gefühl hat, eine Gemeinschaft zu sein, die ihre Mitglieder unterstützt - und nicht nur eine Ansammlung kleiner Interessengruppen - würde nicht nur eine der größten Herausforderungen ihrer Geschichte verpassen, sondern auch eine der größten Chancen für ihre eigene Zukunft ", warnte er. 

Franziskus berührte auch das Problem der Migranten, die er als Resource und nicht als Last beschrieb. Er kam auf das Thema, das 2014 in Straßburg Aufsehen erregte, als er die EU mit einer müden "Großmutter" verglich. Er fügte hinzu, dass diese "Sterilität" Europas nicht nur das Ergebnis eines "demographischen Winters" und von Abtreibungen sei, sondern in erster Linie das Ergebnis eines "beispiellosen Genera-tionenkonflikts" seit den 1960er Jahren. "Verrat wurde der Tradition vorgezogen", sagte er. "Es ist nicht gelungen, die materiellen und kulturellen Werkzeuge weiterzugeben, die junge Menschen für die Zukunft brauchen." 

"Eine Gemeinschaft der Solidarität zu werden, erfordert, den Wert der eigenen Vergangenheit wieder zu entdecken, die Gegenwart zu bereichern und der Nachwelt eine Zukunft der Hoffnung zu vermitteln", fügte er hinzu.

Der ehemalige italienische Premiermisters Enrico Letta kommentierte die Rede mit den Worten: "Wir können jetzt nicht einfach applaudieren und nach Hause gehen." Europa habe jetzt die Aufgabe, unterschiedliche Regelwerke für die Migrationspolitik und die Solidarität zu erarbeiten. Mairead McGuiness, die irische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments fügte hinzu, das Neu - Durchdenken Europas sei noch nicht zu Ende, aber es sei gut, dass Christen in dieser Debatte die Initiative ergriffen hätten.
[ Anmerkung zu LaCroix International: das Online-Medium bietet einige Artikel gratis an, bittet danach aber um ein Abonnement, das nicht viel kostet. Aus dem Grund wurden wichtige Passagen aus dem Englischen übersetzt. ]

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