Donnerstag, 30. November 2017

Ist Spaniens Krise eine Chance für Europa?


Is Spain's crisis Europe's opportunity?


Teil 6 / Part 6 - last update 02/12/2017


Die dunkle Seite der Macht: Geschäfte mit Drogen, Sex, Geldwäsche

"Die Verfassungskrise in einem wichtigen Land der europäischen Union bietet die einmalige Chance, die demokratische Governance regionaler, nationaler und europäischer Institutionen umzugestalten und dabei eine tragbare und somit zukunftsfähige EU ins Leben zu rufen." Mit der These von Yanis Varoufakis begann diese Serie. Und so wurde in den ersten drei Teilen die europäische Krise aus dem Blickwinkel von pro-europäischen Kritikern der EU kommentiert. Der vierte Teil ging auf die verschärfte strategische Krise der EU ein, wie sie z.B. vom Präsidenten des Europäischen Rates gesehen wird. Die Vertreter beider Sichtweisen wollen die EU gegen den nationalistischen, fremdenfeindlichen Populismus verteidigen, der sie bedroht. Nur halten die einen demokratische Reformen und mehr regionale Autonomie für das Mittel der Wahl, während die anderen auf verstärkten Zentralismus setzen: eine Währung, eine Armee, ein Präsident. Ein klassisches Dilemma also. Im fünften Teil wurde eine gerade entstehende Sichtweise umrissen, die sich z.B. in Initiativen der katholischen Kirche widerspiegelt: "(Re)thinking Europe", intelligente Reformen und multiple Beziehungen auf regionaler, nationaler und kontinentaler Ebene. Es scheint sich aber wie in dem berühmten Film "Gottes Werk und Teufels Beitrag" zu verhalten: es fehlt uns hier noch die dunkle Seite der Macht, die sich nicht um Regeln schert; das chaotische Element, das unsere ganze Intelligenz und Tatkraft herausfordert.

Caso Gürtel: Mariano Rajoy und die Korruption in Spanien


[ Der folgende Teil setzt mitunter gute Spanischkenntnisse voraus. Es gibt aber ausreichend deutsche Quellen und Übersetzungen aus dem Spanischen. ]
"Gürtel" war der Name eines korrupten Netzes, das in Spanien als Reaktion auf die Wirtschaftskrise 2009 entstand. Es wurde 2013 zum grössten Korruptionsskandal des Landes. Im sog. "Fall Gürtel" standen zahlreiche Unternehmer und politische Akteure vor Gericht. Die letzteren gehören bis heute der regierenden sozialistischen Partei Partido Popular an, der natürlich der spanische Präsident Mariano Rajoy auch angehört. Der Prozess dauerte über 4 Jahre und Rajoy musste trotz heftiger Gegenwehr im Juli 2017 als Zeuge aussagen. 

GranCanariaTV hat oft darüber berichtet und die Sendungen auf YouTube veröffentlicht. Das folgende Video hat den Titel "Quién es quién en el caso Gürtel? - Wer ist wer im Fall Gürtel?" Unten rechts, im blauen Kreis, sieht man die Prominenz der Regierungspartei. 



Die Partei ist mit Luís Barcenas im roten Kreis verbunden, ihrem damaligen Schatzmeister, der im Januar 2015 zu 42 Jahren Gefängnis und zu über 88 Mio € Geldstrafe verurteilt wurde. Dies und die Art der Verbindung wurde von EL PAÍS bereits am 16. Januar 2015 als "Participacion a titulo lucrativo" dargestellt.
Gürtel, la corrupcion que colonizò al Partido Popular
Es gibt dort eine Grafik, die man vergrößern kann. Oben stehen Namen der Angeklagten, ihre politische Zugehörigkeit, die Anklagepunkte, die Haftstrafen und Geldstrafen. Rechts unten steht die "Participacion a titulo lucrativo", die stille Gewinnbeteiligung der Partido Popular (Geldstrafe 245.492 €) und von Ana Mato (Geldstrafe 28.467 €). Ana Mato war damals Gesundheitsministerin und musste zurücktreten.

EL PAÍS ist eine Fundgrube, setzt aber gute Spanischkenntnisse voraus. Eine deutsche Zusammenfassung lieferte das Magazin Neue Debatte
Caso Gürtel: Mariano Rajoy und die Korruption in Spanien
und die Wirtschaftswoche mit einer kurzen Darstellung
Euro-Krise: Spaniens schmutziges Geschäft mit Drogen und Sex

 Was bedeutet "participacion a titulo lucrativo"?


Eine gute Erklärung habe ich bisher nur in dem spanischen Juristen-Magazin Almacen de  Derecho gefunden.
La participacion a titulo lucrativo
Die Übersetzung der Seite ist gut.
Die lukrative Beteiligung ... an jedem Verbrechen
§ 122 des Strafgesetzbuches sagt: "Wer durch lukrativen Titel an den Folgen eines Verbrechens beteiligt ist, ist an die Rückgabe der Sache oder an die Entschädigung  für den Schaden bis zur Höhe seiner Beteiligung gebunden."
Dieser Artikel wurde seit 1848 nicht geändert und bedeutet im Klartext, dass die Gewinnbeteiligung an einem Verbrechen nicht zu einer strafrechtlichen Verantwortung führt, sondern nur zu einer zivilrechtlichen. Das ist u.a. die Erklärung dafür, dass Präsident Rajoy vor Gericht nur als Zeuge aussagen musste, wo er jede Kenntnis der Beteiligung seiner Partei abstritt - s.o. die Neue Debatte.

Das Ausmaß des organisierten Verbrechens


Die italienische Mafia


Eine kurze Netz - Recherche bringt Dutzende von Artikeln zu dem Thema ans Licht. Anstelle von vielen Artikeln beschränke ich mich auf die EPOCH TIMES
24 mutmaßliche Mafia-Mitglieder in Spanien, Deutschland und Italien festgenommen
Die spanischen Ermittler werfen der Camorra vor, Einkünfte aus dem Drogenhandel mithilfe eines riesigen Netzwerks aus Firmen in Spanien, Italien, Deutschland, Frankreich und Portugal zu waschen. Dazu würden etwa Spielhallen, Autovermietungen und Goldgeschäfte genutzt.
In Spanien werden regelmäßig mutmaßliche Mitglieder der italienischen Mafia festgenommen. Italiens Mafia-Sonderermittler Franco Roberti sagte vergangenen Monat in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung „El País“, die Mafia sei fest in Spanien verwurzelt. Spanien sei ein strategisch bedeutsames Land für die organisierte Kriminalität. 
Nach Einschätzung des italienischen Journalisten und Buchautors Roberto Saviano haben mehrere italienische Mafia-Clans gefährlichere Aktivitäten nach Spanien verlegt. Camorra-Bosse würden die spanische Mittelmeerküste bereits als „Costa Nostra“ (Unsere Küste) bezeichnen – als Wortspiel mit der Cosa Nostra, der Mafia in Sizilien, berichtete der Autor des Mafia-Enthüllungsbuches „Gomorrha“

Die russische Mafia


Lassen wir die chinesische Mafia einstweilen aus dem Spiel, die im ersten Teil von Savianos Buch ausführlich als unumschränkte Herrscherin des Hafens von Neapel besprochen wird. Die russische Mafia wird auch in vielen deutschen Artikeln über Berlin, Bayern und NRW erwähnt. Beispielhaft sei die Warnung des BKA in der ZEIT erwähnt:
Kriminalität: BKA warnt vor Ausbreitung der Russenmafia
Es gibt da u.a. ein Kartell "Tambowskaja", das auch in einem kurzen Beitrag von Wikipedia erwähnt wird 
Russische Mafia
Die Präsenz dieses Kartells in Spanien - Madrid, Valencia, Barcelona - verdient aber eine besondere Erwähnung. Das ZDF | Zoom+ hatte am 9.11.2015 eine Dokumen-tation ausgestrahlt, deren Textzusammenfassung in der Mediathek noch verfügbar ist
Spur nach Moskau - warum mußte Litwinenko sterben?
Die Filmdokumentation ist auf YouTube verfügbar.



Dabei handelt es sich um eine Arbeit von Egmont R. Koch, die auch auf dessen Homepage abrufbar ist.
Egmont R. Koch: Filmemacher und Buchautor

Der ehemalige KGB-Offizier Litwinenko, der sich zum Feind Putins wandelte und in UK als Mitarbeiter des MI6 arbeitete, wurde durch Pollonium10 vergiftet, im Auftrag des FSB, in London (sic!) und wenige Tage, bevor er vor einem Madrider Gericht per abgesicherter Videokonferenz als sachverständiger Zeuge aussagen sollte. Er sollte über die Petersburger Tamboskaja und ihren Paten Genadin Petrov (namensgleich mit dem Fußballspieler) aussagen. Der FSB hatte nachweislich Kenntnis von der geplanten Zeugenaussage erhalten und einen Freund von Litwinenko über die Hintergründe und Motive befragt. Diese Informationen werden etwa ab Minute 28 gezeigt. 

Hier wird Petrov in Madrid verhaftet ...




... und später auf Ehrenwort nach Russland beurlaubt ...


... kam aber nicht mehr zurück. Der Leser mag sich selber fragen, wie durchlässig die spanische Justiz ist. Koch und dessen Quellen sind sicher, dass Petrov im Rang höher als Putin steht. 

Es tut gut, sich daran zu erinnern, dass die russische Mafia  in der spanischen Wirtschaftskrise günstig Immobilien - Hotels, Villen, Golfplätze - erwerben konnte, wozu sie natürlich gewaschenes Geld aus dem Handel mit Drogen,Waffen und Frauen einsetzen konnte, wozu sie ebenso natürlich spanische Banker und Anwälte engagierte.

Auch das gehört zum Hintergrund der spanischen Verfassungskrise und der Krise der EU. 

Und damit beende ich einstweilen die Serie über dieses Thema.

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