Samstag, 4. November 2017

Ist Spaniens Krise eine Chance für Europa?

Is Spain's Crisis Europe's opportunity?



Teil 1 / Part 1


So beginnt Yanis Varoufakis sein leidenschaftliches Plädoyer, in dem er behauptet, dass Spaniens Krise Europas Chance ist. Project Syndicate, die berühmte "World's Opinion Page", veröffentlichte es am 06. Oktober 2017.  Einige Tage zuvor hatte Project Syndicate eine Studie von Guy Verhofstadt übernommen: "Europas Zukunft nach der Wahl in Deutschland".  Beide Beiträge greifen die "Heuchelei" und "Engstir-nigkeit" der real existierenden Europäischen Union an. Wenig später veröffentlichte The Times einen Essay von Roger Boyes, in dem er die "Blindheit" und "Selbstge-fälligkeit" von EU-Präsident Juncker angreift. Das sieht nicht nach Zufall aus. Wir wollen einige Fragen erörtern: ob diese Stimmen ein gemeinsames Ziel haben,  ob es  erreichbar ist, ob es wünschenswert ist. Bei diesem riskanten Unternehmen suchen wir Hilfe, u.a. bei Joschka Fischers Studie  "Scheitert Europa?"


Yanis Varoufakis


Sein sog. Stinkefinger war ein Fake, der ziemlich sicher von BILD und der Sendung von Günter Jauch fabriziert wurde - vgl.
Die Lüge der echten Bilder
Der Mann geriet ins Zwielicht und damit auch seine Gedanken. Wer auch immer zu solchen Mitteln greift, hat nicht genügend eigene Gedanken, um den angegriffenen Gedanken entgegen zu treten. Zur Person, seiner wissenschaftlichen und politischen Karriere vgl. seine Vita in Wikipedia:
Kommen wir zu seinem Plädoyer und dessen Gedanken. Project Syndicate ist multi-lingual und hat eine deutsche Übersetzung seines Essays:

Begründung des Vorwurfs der Heuchelei


Den Überlegungen in Abschnitt 2 wird man kaum widersprechen können, außer vielleicht, dass hier ein "Mitspracherecht" der EU gegen die spanische Polizeigewalt während des katalonischen Unabhängskeitsreferendums unterstellt wird. Im eng-lischen Original heißt es: "... in which the EU has no say ...". Das klingt anders als das deutsche Bestehen auf einem juristisch garantierten Recht. Im weiteren Verlauf erin-nert Varoufakis ja auch an die "sparpolitischen Direktiven der EU", hinter denen sich die spanische Zentralregierung verschanzte, als sie Gesetze verabschiedete, die es der Bürgermeisterin von Barcelona verboten, Haushaltsüberschüsse der Stadt für Steuersenkungen,  Hilfe für die Armen und Unterkünfte für 15.000 Flüchtlinge zu ver-wenden. Aufgrund dieser Gesetze verwehrte die Zentralregierung den Flüchtlingen den Zutritt zu diesen Unterkünften. vgl. Abschnitte 6 und 7.

Auch seine Beobachtung in Abschnitt 3, dass sich die EU in die inneren Angelegenheiten Griechenlands mischte, als sie seine, Varoufakis' , Entlassung forderte,
vgl. dazu Dijsselboom: "I asked Varoufakis to be removed
und dass die Nichteinmischung im Falle Ungarns und Polens sakrosankt war, als diese sich explizit von Grundprinzipien der EU verabschiedeten, ist richtig.  Was er beklagt, ist jedoch das Ergebnis des strukturellen Problems, dass die EU von Anfang an als Wirtschaftsgemeinschaft geplant war und nicht als politische Gemeinschaft.

Was schlägt Varoufakis vor?


Seine Beurteilung der systemischen Krise Europas mag strittig sein, ebenso wie seine Beurteilung Kataloniens als Fallstudie zu Europas allgemeiner Problematik. Aber das ist hier nicht der  Punkt. Varaoufakis schlägt in Abschnitt 12 eine Änderung der EU -Verträge vor.
Die Alternative besteht darin, die Lösung eines Problems zu europäisieren, das größtenteils durch die systemische Krise Europas verursacht wurde. Anstatt die lokale und regionale demokratische Governance zu behindern, sollte die EU sie fördern. Die EU-Verträge könnten geändert werden, um das Recht regionaler Regierungen und Städteparlamente - wie der Kataloniens und Barcelonas - auf fiskalische Autonomie und sogar auf ihr eigenes Fiskalgeld festzulegen. Außerdem könnte man ihnen auch gestatten, ihre eigene Flüchtlings- und Migrationspolitik um-zusetzen.
Und hier genau liegt das Problem: Das "Europa der Regionen" wurde schon in den 80er Jahren gefordert. Und damals wie heute ist kein EU - Mitgliedsstaat bereit, einer solchen Änderung der Verträge zuzustimmen. Wirklich keiner, auch nicht Frankreich und Deutschland.

Varoufakis kämpft hier mit dem alten philosophischen Problem der "petitio principii", der unzureichenden Begründung eines Zielsatzes. Die Definition der "petitio principii" lautet: "die Verwendung eines unbewiesenen oder noch zu beweisenden Satzes als Prämisse eines anderen Satzes". Der unbewiesene oder noch zu beweisende Satz A lautet: "die EU - Staaten akzeptieren lokale und regionale demokratische Gover-nance." Der Zielsatz B lautet: "die EU - Staaten ändern die EU - Verträge dahin-gehend, dass fiskalische Autonomie von regionalen Regierungen und  Städteparla-menten erlaubt ist." Wenn Satz A zuträfe, könnte er als Prämisse von Satz B dienen. Da Satz A jedoch nicht zutrifft, ist er eine "petitio principii", eine unzureichende Begründung von Satz B.

Dasselbe muss leider auch von seinem Vorschlag des Fiskalgeldes gesagt werden, den er Ende August 2017 ebenfalls auf Project Syndicate veröffentlichte:
Die Vorteile des Fiskalgeldes
Ohne ihm nahe treten zu wollen, erinnert das ein wenig an Prof. Bernd Lucke, einen Gründer der AfD. Er wollte zurück zu kleineren Währungsverbünden. Vor der Bundes-tagswahl 2013 wollte die AfD den Euro verlassen, aber nicht die EU. Später empfahl sie nur den Südländern den Euro - Austritt mit anschließender Abwertung  der eigenen Währung, damit ihr verfetteter Staat (sic!) sich noch etwas über die Zeit retten könne.
vgl. u.a. "Herausforderung AfD" im Blogheader, Abschnitt Pseudo-wissenschaft
Varoufakis geht anders heran: Im westlichen Kapitalismus gibt es noch ein paar heilige Kühe, so sagt er. Eine davon müsse in Frage gestellt werden: die Unabhängigkeit der Zentralbanken in den gewählten Regierungen. Politiker würden die Zentralbanken als Gelddruckmaschine missbrauchen, um (wieder-)gewählt zu werden. Die Unabhängigkeit sei meistens nicht gegeben. Das ist ein politisches und ethisch / moralisches Problem. Varoufakis, Wirtschaftsmathematiker, der er ist, bleibt nicht dabei stehen, sondern betritt die Ebene der Ökonomie.
Unabhängig von politischen Kontroversen beruht die Unabhängigkeit der Zentralbanken auf einem ökonomischen Axiom: nämlich, dass Geld und Schulden (oder Kredite) sauber voneinander getrennt werden können. Schulden, wie beispielsweise Staats- oder Unternehmens-anleihen, können für einen Preis gehandelt werden, der von der Inflation und dem Insolvenzrisiko des Schuldners abhängt. Geld hingegen kann nicht insolvent werden und ist (trotz des Währungsmarktes) weniger ein Objekt als vielmehr ein Tauschmittel.
Abschnitt 3 [Wir wollen hier nicht seine Geldtheorie diskutieren.]
Aber dieses Axiom gelte nicht mehr, sagt er, weil die Geschäftsbanken zur Finanzierung ihres Tagesgeschäfts  immer mehr auf Kurzkredite angewiesen sind, die durch Staatsanleihen gesichert werden.
Und hier liegt das Problem: Da die Banken immer mehr Interbankengeld erzeugen, benötigt das Finanzsystem immer mehr Staatsanleihen als Sicherheit. Und dass diese zunehmenden Geldvorräte der Banken die Nachfrage nach Staatsanleihen anheizen, führt zu einem endlosen Kreislauf von Liquidität, über den die Zentralbanken nur wenig Kontrolle haben.
Abschnitt 5
Und da haben wir wieder das logische Problem des "circulus vitiosus", des Teufelskreises, der ein Sonderfall der "petitio principii" ist. Es scheint so, dass Varoufakis hier ein zentrales Problem von Macht angesprochen hat. Der "gordische Knoten", der die Expansionspläne von Alexander dem Großen behinderte, hatte eine ähnliche Struktur. Alexander hat ihn bekanntermaßen mit dem Schwert durchtrennt.

Der gordische Knoten EU


Varoufakis scheint im Ernst nach einer politischen Führer - Figur zu suchen, die in der Lage ist, den gordischen Knoten der EU gewaltsam durch zu trennen. Damit wären wir bei Guy Verhofstadt und seiner Frage nach "Europas Zukunft nach der Wahl in Deutschland". Darum wird es im nächsten Teil gehen.

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