Dienstag, 7. November 2017

Ist Spaniens Krise eine Chance für Europa?

Is Spain's crisis Europe's opportunity?


Teil 2 / Part 2

"Das Ergebnis der jüngsten Bundestagswahlen in Deutschland ist zweifellos ebenso wichtig wie bemerkenswert. Die Parteien, die die deutsche Politik seit Jahrzehnten dominierten - SPD, CDU/CSU –, haben erhebliche Verluste an den Wahlurnen hinnehmen müssen. Diese Parteien führten einen engstirnigen und nach innen gerichteten Wahlkampf. Die am heftigsten diskutierten Themen waren Dieselverbot, Steuern, Mieten und die innere Sicherheit. So wichtig diese Themen deutschen Wählern auch sein mögen, hinsichtlich der wichtigsten Herausforderungen für die EU und die Eurozone übten sich die großen deutschen Volksparteien jedenfalls größtenteils in Schweigen."

EU Parlament 27.4.2017
Verhofstadt vs. Orban 
So beginnt Guy Verhofstadt sein Plädoyer für demokratische Reformen der EU. Der ehemalige belgische Premierminister und heutige Vorsitz-ende der ALDE im Europäischen Parlament ist bekannt für seine leidenschaftlichen Reden. Im Bild links kritisiert er heftig Viktor Orbàn, weil dieser seine sozial-liberalen Prinzipien von 1989 über Bord geworfen und nach seiner Wahl zum ungarischen Ministerpräsidenten offen erklärt hatte, dass er einen "illiberalen Staat" anstrebt. 


Guy Verhofstadt


Viele Europäer der Nachkriegsgeneration wurden durch die Aufarbeitung von Kolonialismus und Völkermorden geprägt, in die unsere Länder verstrickt waren. So erging es auch Verhofstadt. Kaholisch - liberal erzogener Flame, studierte er Jura in Gent, weltberühmt durch den Genter Altar, das prägende Monument der katholischen Kirche, das 1943 von den Nazis gestohlen, 1945 von den amerikanischen "Monuments Men"  im Salzbergwerk Altaussee geborgen und anschließend in der Vijd - Kapelle wieder aufgestellt wurde. Jeder Flame kennt diese Geschichte.  Kein Wunder, dass Verhof-stadt sich mit der belgischen Kolonialmacht auseinandersetzen musste, die den Grundstein für den Völkermord in Ruanda legte.
Von großer Bedeutung für sein politisches Comeback war auch seine überaus aktive Beteiligung als Reporter an der 1996 vom Senatsaus-schuß für auswärtige Angelegenheiten im Hinblick auf den Völkermord von 1994 in Ruanda geschaffenen ruandischen Kommission. Als Mitglied der Kommission besuchte Guy Verhofstadt auch Ruanda. Es war "seine Entdeckung" von Afrika und der internationalen Dimension der Politik.
So steht es in seiner Vita auf der Seite des belgischen Kanzerlamtes. (Die deutsche Übersetzung ist gut, weil Deutsch offizielle Amtsprache neben Französisch und Niederländisch ist.)
Guy Verhofstadt
Man muss dieses entscheidende Motiv des heutigen Vorsitzenden der ALDE im Europaparlament
Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
verstehen. Man muss begreifen, dass Europäer, vor allem Belgier, bis heute mit diesem Thema nicht fertig werden wollen und können
Ruanda: Belgische Kolonialmacht legt Grundstein für Genozid
und die rechts - populistische Allianz, welche die EU seit 2015 zunehmend bedroht, so bekämpfen, wie die Westdeutschen den noch virulenten Nationalsozialismus bekämpft haben: "Das darf sich nicht wiederholen!" Es war und ist die Flüchtlingsfrage, die Verantwortung der ehemaligen Kolonialmächte für die Fluchtursachen, die Europa gespalten hat.

Verhofstadt und Orbàn


Die beiden kennen sich aus ihrer gemeinsamen liberalen Zeit, als Orbàn noch sozial - liberale Grundsätze und Programme vertreten hat. Verhofstadt zog Orbàn im April 2017 vor dem Europäischen Parlament zur Rechenschaft. Hier ist ein Ausschnitt aus seiner Rede.



"Sie haben Ihre demokratischen Prinzipien über Bord geworfen. Sie haben es offen gesagt: ich will keine liberale Demokratie, sondern einen illiberalen Staat. Die Liste Ihrer Missetaten ist lang. Sie haben NGOs schikaniert, kritische Medien verjagt, Mauern gebaut, dazu ihr Plan, die Todesstrafe wieder einzuführen, obwohl das in unseren EU - Verträgen verboten ist. Und jetzt haben Sie entschieden, die Universität zu schließen. Und meine Frage an Sie ist: wie weit werden Sie gehen? Was kommt als nächstes? Bücherverbrennungen oder so etwas? - Ich sehe in Ihnen immer weniger einen stolzen Konservativen, ich sehe eine moderne Version des kommunistischen Ungarn. Wirtschaftliche Abschottung, exzessiver Nationalismus, die Schaffung eines illiberalen Staates. Und Sie sehen überall Feinde Ungarns. Im Energiesektor, in den Medien, in den NGOs - und jetzt auch in der akademischen Welt. Es ist wie unter Stalin oder Breschnew, aber nun in Ungarn. Sie hatten auch diese Paranoia. ..."


Europas Zukunft nach der Wahl in Deutschland


Hinsichtlich der wichtigsten Herausforderungen für die EU und die Eurozone übten sich die großen deutschen Volksparteien jedenfalls größtenteils in Schweigen. Dafür haben sie an den Wahlurnen die Quittung erhalten.
Die Art und Weise, wie diese Themen angegangen oder missachtet werden, wird die Zukunft Europas und der Stellung Deutschlands in Europa bestimmen. Als die führenden Politiker des Landes durch Fernsehsender, Veranstaltungshallen, Klassenzimmer und Einkaufszentren tourten, hätten sie diese Themen viel intensiver diskutieren müssen. Die Tatsache, dass beide großen Parteien genau dies nicht taten, erklärt zum Teil, warum sie an Unterstützung verloren haben. Durch das Flicken kleinerer Probleme bei gleichzeitigem Vermeiden der großen Themen haben CDU/CSU und SPD ein Vakuum geschaffen. Und populistische Nationalisten der rechtsextremen AfD waren nur allzu bereit, diese Lücke zu füllen. Das Ergebnis waren 13 Prozent.
Das schreibt Verhofstadt in Abschnitt 4 seines Plädoyers für demokratische Reformen in der EU. In dem Wahlergebnis sieht er jedoch - im Gegensatz zu vielen Analysten - keinen harten Schlag für den französischen Präsidenten Macron und seinen Plan, das europäische Projekt mit neuem Leben zu füllen.
Wir sollten nicht vergessen, dass es der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble war, der im vergangenen Jahrzehnt die meisten Reformvorschläge für die Eurozone blockiert hat.
Die Fehde des Jahrhunderts
Hoppla, das verdient, zweimal gelesen werden.  Es soll also nicht Seehofer und die CSU gewesen sein, die nach verbreiteter Auffassung die Wahleinbußen verschuldet hätten. Es soll nicht vertieft werden. Der Hinweis auf die

Die Fehde des Jahrhunderts: Merkel vs. Kohl vs. Schäuble

soll hier genügen.

Man könne das Ergebnis der deutschen Wahlen auch als Chance betrachten. Verhofstadt setzt auf eine neue Führungsgeneration von pro-europäischen Politikern, die "eine treibende Kraft für eine neue Rolle Deutschlands in Europa werden" könnte. Natürlich sieht er die Gemeinsamkeiten zwischen Macron und der FDP unter Lindner: transnationale Kandidatenlisten, gemeinsame Regelungen zur Migration und zur Grenz- und Küstenwache, sowie ein europäisches FBI zur Koordinierun g der Terrorbekämpfung. Und so schließt er, ganz der Anwalt, sein Plädoyer mit den Worten:
Die deutsch-französische Achse hat die europäische Integration in der Vergangenheit angetrieben und muss diese Rolle wieder übernehmen. Ich bin sicher, dass eine neue Koalition in Deutschland mit Frankreich zusammenarbeiten kann, um eine engere politische und wirtschaftliche Union aufzubauen. Die EU demokratischer zu machen, ist die einzige Möglichkeit, die nationalistische Welle zurückzudrängen, die das europäische Projekt ursprünglich verhindern sollte.
Der Artikel von Verhofstadt wurde von Project Syndicate veröffentlicht:
Europas Zukunt nach der Wahl in Deutschland

Varoufakis und Verhofstadt


Wortwahl und Anlass der beiden Plädoyers mögen sich unterscheiden. Ihr Ziel ist dasselbe. Schauen wir auf Roger Boyes und warum er seine Kritik vor allem gegen EU - Präsident Juncker richtet. Darum wird es im nächsten Teil gehen. 

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