Samstag, 29. April 2017

USA - Russland: George Smiley kommt zurück in John le Carré's neuem Roman

George Smiley to return in new John le Carré novel, A legacy of Spies


George Smiley, John le Carrè's kultiger Meister-spion des kalten Krieges, kehrt nach 25 Jahren in einem neuen Roman des  berühmten Autors von Spionage - Romanen zurück. Der 85-jährige Le Carrè soll die letzten 12 Monate "wie im Fieber" an seinem Buch "A legacy of Spies" gearbeitet haben. Es wird sein bestes Buch, wie sein Agent Johnny Geller meinte. Und es soll am 7. September 2017 erscheinen.


John le Carrè
Dem Guardian war das viele Seiten wert - vgl. George Smiley to return und From cold war spy to angry old man. Man glaubt, dass Carré seine alten Charaktere wegen der gegenwär-tigen politischen Situation wieder aufleben lässt. "Als Leser sehen Sie die Parallelen zwischen dem, was wir überwunden glaubten und dem was heute geschieht", schrieb der Verleger. Sich jedoch nur auf Moskaus mutmaßliche Einmisch-ung in internationale Wahlen und seine mutmaß-lichen Beziehungen zu Donald Trump's US-Regierung zu konzentrieren, sei jedoch "much too simplistic", schrieb sein Agent Johnny Geller.

Immer wieder schön, wenn man sieht, dass man nicht alleine ist mit seinen Gedanken.

Vielleicht der effektivste russische Geheimagent


So bezeichnete Arianna Huffington  im  Februar 2017 Donald Trump - vgl. auf diesem Blog Amtsenthebung des 45. US-Präsidenten: Das Spiel beginnt. Einen Monat zuvor machte Nina L. Kruchsheva, die Enkelin von Nikita Krushchev, dem Nachfolger von Josef Stalin als sowjetischer Premierminister, eine rätselhafte Andeutung, indem sie den Politthriller "The Mandchurian Candidate" als paranoide Interpretation von Donald Trumps Kabinett ins Spiel brachte. Damals schrieb sie:
In Anbetracht der Vorliebe, die Trump und so viele seiner von ihm nominierten Kandidaten offenbar für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hegen, könnte das wahre Leben die Kunst in diesem Bereich einholen – wenn nicht gar überholen.
Vgl. auf diesem Blog Wirklich nur unamerikanische Paranoia?

Aus der Rückschau betrachtet, nach der Lektüre zahlreicher amerikanischer Artikel  und Analysen, schließlich nach der Lektüre großer Teile von Le Carré's Büchern denke ich, dass Mrs. Huffington, Mrs. Krushcheva  und alle die brillianten Autoren in den freien amerikanischen Medien und bei den amerikanischen Demokraten,  die auf diesem Blog öfter zur Sprache kamen - dass sie in ihren Deutungen noch nicht weit genug gegangen sind. Es sei daran erinnert, dass es zwei Jahre gedauert hat - von 1972  bis 1974 - bis die Amerikaner endlich den Blick dafür frei bekamen, dass es Präsident Nixon selber war, der hinter der Watergate-Affäre steckte.

Allerdings bin ich der Ansicht, dass es heute nicht der Präsident ist, der hinter allem steckt; dass es auch nicht der mächtige Mitch McConnell ist, der Mehrheitsführer der Republikaner. Und auch nicht der mächtige Steve Bannon, den man "President Bannon" nannte. Mich beschäftigte die Frage, wer die Macht hat, den Präsidenten, die Führung der Republikaner und die mächtige Conservative Political Action Conference CPAC zu übergehen, um Steve Bannon aus dem Nationalen Sicherheitsrat zu entfernen. Und vor allen Dingen: warum musste Bannon dieses Gremium verlassen? Ihn hatte der Präsident dorthin geschickt, um Einblick in die Geheimdienst - Untersuch-ungen der russischen Beziehungen des Präsidenten und seiner Mannschaft zu erhalten und diese - mutmaßlich - zu beeinflussen. Wem ist Steve Bannon dabei möglicherweise zu nahe gekommen?

Zu den Themen vgl. auf diesem Blog



Die Gestalt des Bill Haydon


Es gibt von Le Carré die "Karla-Trilogie", wobei Karla der Deckname eines legendären fanatischen KGB - Chefs ist, den Smiley nach dem Krieg anwerben sollte. Die Trilogie ist einem großen internationalen Publikum jedoch nur zum Teil bekannt geworden, hauptsächlich durch die zweite Verfilmung von König Dame As Spion resp. Tinker Tailor Soldier Spy.

Beide Verfilmungen sind großartig, aber die Grenzen des Mediums Film zeigen sich - und das ist nicht als Kritik zu verstehen - , wenn es an die psychologisch vielschichtige Betrachtung, die beiläufige Ideologiekritik und die Anteil nehmende Schilderung der Tragik der Personen geht, egal auf welcher Seite des kalten Krieges sie standen. Auch Le Carrè's eigene Erfahrung als Geheimdienstler under cover kommt im  Film nicht annähernd zu derselben Geltung wie in den Büchern. Dennoch kann man einen Eindruck davon gewinnen, welche überwältigende Rolle Geheimdienste mitunter in der Politik spielen können.

Eine zentrale Romanfigur ist Bill Haydon, der Gegenspieler von George Smiley. Er ist ein sowjetischer Doppelagent, der Maulwurf, der seit Jahren an der Spitze des Circus sitzt, wie die Zentrale des britischen Geheimdienstes MI6 von Insidern bezeichnet wird. Dass es einen solchen Maulwurf geben könnte, wurde als fixe Idee, als Paranoia des langjährigen Chefs des Circus abgetan. Er wurde kaltgestellt, später gefeuert, zusammen mit seinem engsten Mitarbeiter George Smiley. Als George schon im Ruhestand ist, wird er vom Innenministerium beauftragt, den Maulwurf zu enttarnen.


Herkunft, Familie, Studium, Krieg


Bill Haydon ist verwandt mit George Smiley, er ist nämlich der Vetter von Smiley's Frau Ann. Bill und Ann gehören zur feinen Londoner Gesellschaft, einer alten Familie mit einer starken politischen Tradition. Bill studierte in Oxford vor dem 2. Weltkrieg, wo er  auch spätere Weggefährten des Circus trifft.  Ab hier Zitat:
Er gehörte jenem angeblich ausgestorbenen Vorkriegstypus an, der gleichzeitig schuftig und nobel sein konnte. Sein Vater war hoher Justizbeamter, zwei seiner schönen Schwestern hatten in die Aristokratie geheiratet; in Oxford war er Parteigänger der unmodernen Rechten gewesen, nicht etwa der modischen Linken, wobei er sich allerdings kein Bein ausriß. Noch vor seinem zwanzigsten Jahr hatte er sich als unerschrockener Forscher und Amateurmaler originaler, wenn auch allzu ehrgeiziger Prägung betätigt: mehrere seiner Bilder hingen jetzt in Miles Sercombes albernem Palais in Carlton Gardens. Er hatte an jeder Botschaft und in jedem Konsulat im ganzen Vorderen Orient seine Verbindungen und nutzte sie rücksichtslos. Er erlernte mühelos die ausgefallensten Sprachen, und als das Jahr neununddreißig kam, holte ihn sich der Circus, der seit Jahren ein Auge auf ihn gehabt hatte. Der Krieg war eine Glanzzeit für ihn. Er war überall zugleich und charmant; er war unorthodox und zuweilen hemmungslos. Wahrscheinlich war er ein Held. Der Vergleich mit Lawrence drängte sich auf.
le Carré, John. Dame, König, As, Spion (Ein George-Smiley-Roman) (German Edition) (S.186). Ullstein eBooks. Kindle-Version.

Kalter Krieg, Karriere, besondere Aufgaben


Le Carré lässt Smiley die andere Seite von Haydon's Charakter beschreiben:
die Unbeirrbarkeit des geborenen Agentenführers, sein hochentwickeltes Gefühl für das rechte Maß beim Zurückspielen von Doppelagenten, und das Aufziehen von Ablenkungs - Operationen; seine Fähigkeit, Zunei-gung, sogar Liebe zu hegen, auch wenn sie anderen Bindungen zuwider-lief. a.a.O.
Haydon war der "geistreiche Kopf im Circus",  "das kluge Kind Bill Haydon, unser moderner Lawrence von Arabien". Er hatte Control, dem Chef des Circus, die Bildung einer Einheit von Skalpjägern und deren ersten Kommandanten vorgeschlagen, eine andere wichtige Romanfigur, Peter Guillam.
Die Einheit war auf Bill Haydons Anregung hin von Control ins Leben gerufen worden, in den Pioniertagen des Kalten Krieges, als Mord und Kidnapping und Erpressung auf Tod und Leben an der Tagesordnung waren, und ihr erster Kommandant war von Haydon vorgeschlagen worden. Es war eine kleine Gruppe, ungefähr ein Dutzend Männer, und sie mussten die Blitzaktionen im Ausland erledigen, die für einen dort ansässigen Agenten zu schmutzig oder zu riskant waren. Gute Arbeit für den Nachrichtendienst, hatte Control immer gepredigt, sei Schritt für Schritt und auf die sanfte Tour zu erledigen. Die Skalpjäger waren die Ausnahme von seiner eigenen Regel. Sie arbeiteten weder Schritt für Schritt noch auf die sanfte Tour, worin sich eher Haydons als Controls Temperament spiegelte. Und sie arbeiteten solo, und deshalb hausten sie im Verborgenen hinter einer hohen Steinmauer mit Glasscherben und Stacheldraht obendrauf. 
le Carré, John. Dame, König, As, Spion (Ein George-Smiley-Roman) (German Edition) (S.48). Ullstein eBooks. Kindle-Version. 
Bill Haydon ist Befehlshaber von London Station, Roy Bland seine Nummer Zwei, Toby Esterhase rennt wie ein Pudel zwischen ihnen hin und her. Sie sind eine Dienststelle innerhalb einer Dienststelle. Sie haben ihre eigenen Geheimnisse und verkehren nicht mit dem Plebs. Vergrös-sert unsere Sicherheit.  a.a.O.

Der ideologische Verrat


Wie es zum ideologischen Verrat des Maulwurfs Bill Haydon kam, das lässt Le Carré ihn selbst aufschreiben, als er in der Arrestzelle auf seine vermeintliche Ausreise in die Sowjetunion wartet. Der Bericht beginnt mit einer langen Rechtfertigung, die ich übergehe. Ab hier Zitat:
Er sprach nicht vom Verfall des Westens, sondern von seinem Tod durch Habgier und Verstopfung. Er hasse Amerika zutiefst, sagte er, und Smiley nahm es ihm ab. Haydon sah ferner als erwiesen an, daß die Geheimdienste der einzig reale Maßstab für die politische Gesundheit einer Nation waren, der einzige reale Ausdruck ihres Unterbewußtseins. Schließlich kam er zu seinem eigenen Fall. In Oxford, sagte er, habe er aufrichtig rechts gestanden, und im Krieg sei es ziemlich belanglos gewesen, wo man gestanden habe, solange man gegen die Deutschen kämpfte. 
Nach ’45, sagte er, habe er sich eine Zeitlang mit Englands Rolle in der Welt zufriedengegeben, bis ihm nach und nach dämmerte, wie unbe-deutend diese Rolle gewesen sei. Wie und wann das geschah, blieb ein Geheimnis. ...  Er hatte sich oft selber die Frage gestellt, auf welcher Seite er stehen werde, wenn die entscheidende Prüfung jemals käme; nach langem Überlegen hatte er sich schließlich eingestehen müssen: falls nur einer der beiden Monolithen die Schlacht gewinnen sollte, würde ihm der Osten als Sieger lieber sein. »Es ist unter anderem auch ein ästhetisches Urteil«, erklärte er und blickte auf. »Natürlich zum Teil auch ein moralisches.« »Natürlich«, sagte Smiley höflich. Von da an, sagte er, sei es nur eine Zeitfrage gewesen, bis er seine Kräfte dort einsetzte, wo seine Überzeugungen lagen.
le Carré, John. Dame, König, As, Spion (Ein George-Smiley-Roman) (German Edition) (S.401). Ullstein eBooks. Kindle-Version. 
Solche Haltungen sind u.a. aus dem französischen Existentialismus bekannt, viele Deutsche haben sie noch lange Zeit geteilt, viele Europäer erliegen ihnen  heute noch. Sie erinnern an den "romantischen Weltschmerz", die Melancholie, die heute vielfach als narzisstische Persönlichkeitsstörung gesehen wird. Es scheint nicht abwegig, sie auch bei Donald Trump zu sehen, dessen Wähler sich in ihm wiedererkennen. Auch darüber habe ich auf diesem Blog geschrieben - vgl. Amerikanische Psychiater heben den Fehdehandschuf auf.


Der persönliche Verrat


Vor dem Krieg lernt Haydon in Oxford Jim Prideaux kennen. Sie werden ein Liebes-paar, kämpfen gemeinsam im Krieg und werden später trotz anderer sexueller Orientierung Haydons unzertrennliche Weggefährten im Geheimdienst. Prideaux wird von dem bereits kaltgestellten Control gebeten, in Tschechien einen General zu kontaktieren, der überlaufen will und als Geschenk den Namen das Maulwurfs im Circus preisgeben will. Prideaux begeht den Fehler und erzählt Haydon von seinem Geheimauftrag. Haydon nimmt Kontakt mit dem KGB auf und lässt seinen Freund in die Falle laufen, in der er schwer verletzt, vom KGB zusammengeflickt und danach monatelang verhört und gefoltert wird, bis er schließlich dem britischen Geheimdienst zurückgegeben wird und unter falscher Identität zu leben gezwungen ist.

Erst als Smiley durch eine Zahlung aus dem Reptilienfonds erfährt, dass Prideaux noch lebt, gelingt es ihm, dem Maulwurf auf die Spur zu kommen. Er, Prideaux und Guillam müssen aber erst einige psychologische Schwierigkeiten auflösen, die ihnen den klaren Blick auf Bill Haydon trüben.


Psychologische Schwierigkeiten der Enttarnung


Dass Tarnung nur aufgrund psychologischen Geschicks funktionieren kann, ist eine Banalität. Dass jedoch die Entdeckung einer Tarnung so schwierig sein kann, ist keinesfalls banal, wie jeder aus eigener Erfahrung wohl bestätigen kann. Im Roman haben alle Personen jeweils andere Schwierigkeiten; sie aufzuführen würde lange dauern. Die klarste Schilderung wird Smiley in den Mund gelegt.
Dieser Mann war mein Freund und Anns Geliebter, Jims Freund und, soviel Smiley wußte, auch Jims Geliebter; dem Bereich der Öffentlichkeit gehörte nur der Verrat, nicht der Mann. Haydon hatte Verrat geübt. ... Smiley wußte sehr genau, daß er nicht einmal jetzt den vollen Umfang dieses haarsträubenden Doppelspiels begriff. Und doch meldete sich bereits etwas in ihm zu Haydons Verteidigung. War Bill nicht gleichfalls verraten worden? ...  Mit schmerzender Klarheit sah er einen ehrgeizigen Mann vor sich, der zu großen Dingen geboren war, erzogen zum Herrschen, Teilen und Erobern, dessen Planen und Trachten ... dem Spiel mit der Weltkugel galt; für den die Wirklichkeit eine kümmerliche Insel war mit kaum einer Stimme darauf, die über das Wasser reichte. ... Er wußte es natürlich. Er hatte die ganze Zeit gewußt, daß es Bill war. Genau wie Control es gewußt hatte, und Lacon, damals in Mendels Haus. Genau wie Connie und Jim es gewußt hatten, und Alleline und Esterhase, sie alle hatten schweigend jenes unausgesprochene Halbwissen geteilt, von dem sie gehofft hatten, es werde vorübergehen wie ein Leiden ...
le Carré, John. Dame, König, As, Spion (Ein George-Smiley-Roman) (German Edition) (S.388-389). Ullstein eBooks. Kindle-Version. 

A legacy of Spies - ein Vermächtnis von Spionen


Worin soll das Erbe dieser Spione bestehen? - Es wird uns unterhalten, es wird uns vielleicht etwas lehren. Auch die historischen Dramen von Shakespeare und Schiller haben uns unterhalten und gebildet: die Schaubühne als moralische Anstalt, wie Schiller sagte. Das antike Theater und die griechischen Mythen haben auch unterhalten und gelehrt.

Das Besondere an diesem Vermächtnis ist Folgendes: wir lernen, wie mühsam es ist und wie lange es dauert, wie viele nicht vorhersehbare Umstände erforderlich sind, um einen einzigen Maulwurf an die Spitze eines feindlichen Geheimdienstes zu bringen. Obwohl alle Geheimdienste  fortwährend versuchen müssen, feindliche Agenten umzudrehen oder kaltzustellen, so ist doch klar geworden, dass die so gewonnenen neuen Mitarbeiter niemals an entscheidende Schaltstellen gelangen werden. Ihnen fehlt der Stallgeruch der heimischen Eliten, der Nimbus des Helden, die lange Karriere in einem Geheimdienst. Topspione  lassen sich nicht umdrehen, sondern kommen aus eigenem Entschluss. Sie verbergen ihre wahre Überzeugung, anstatt sich damit aufzublähen.

Von daher scheint mir klar, dass Donald Trump kein Topspion sein kann und in seinem Team vielleicht kleine Spione wie Paul Manafort, Carter Page oder Michael Flynn zu finden sind, es aber kein manchurisches Kabinett geben kann. Sie sind nicht die Drahtzieher, sie sind die an Drähten Gezogenen. Das bedeutet freilich nicht, dass es in den amerikanischen Geheimdiensten nicht auch große Maulwürfe geben kann. Es hat ja auch amerikanische Maulwürfe im KGB / FSB gegeben.

Weitere Überlegungen sind hier und jetzt nicht hilfreich. Warten wir Le Carré's neues Buch ab und beobachten wir die wachsenden Anstrengungen der demokratischen Opposition, den Präsidenten und Vizepräsidenten zur Abdankung zu zwingen.

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